lieber Hermann, dein
neues Stück hab ich in
Reichenau gele
sen u
an Richard abge
sandt. – Es hat mich durchaus
intere
ssirt, und allerlei men
schliches hat mich tief bewegt – gegen das
Stück, d. h. gegen das
fünfactige Ge
bilde, das von zweitau
send Menschen zugleich angehört u ver
standen werden
soll, hab ich manches Bedenken. In wenig Worten ausgedrückt:
es mangelt dem Ganzen
zuweilen an kün
stlerischer Oekonomie. Nehmen wir an, du hätte
st mir nur den fünften
Act zu le
sen gegeben. Da hätt ich gesagt: Donnerwetter, i
st das ein merkwürdigs Ding
– und hätte mir allerlei er
ste vier Akte dazu gedacht, die vielleicht alle nicht
so
gut gewe
sen wären als deine
oder aber be
sser zu
m deinem fünften (wie ich ihn empfinde) gepa
sst hätten.
Von
deinem fünften Akt geht ein Licht aus,
das mir nach vorwärts deutet, aber den Herweg im Dunkel läßt. Man darf immer
behaupten 2 × 2 = 4 – aber wenn man
sagt:
Ergo i
st 2 × 2 = 4,
so verpflichtet die
ses Ergo zu einer vorhergegangenen Rechnung.
Natürlich fühl
st du die
ses Ergo
sehr gut – aber du ha
st es mich nicht dramati
sch
nachfühlen la
ssen. Etwas ähnliches hab ich zum 1. Akt zu bemerken.
Besenius.
Ich bediene
mich Wörter eines Vergleichs (um das Recht zu haben etwas fal
sches zu behaupten!)
Wenn
sich ein Mu
siker zum Flügel
setzt,
so beginnt er zu praeludiren (
manchmal) eh er
sein eigentliches Stück
spielt. Er deutet die Sti
mmung u die Harmonie des Stückes, – vielleicht auch nur
seine eigne Laune an. Deine
Besenius-Scene ist
solch ein Praeludiren, das du
schon als Beginn des wirklichen Stückes
ausgib
st. Man
glaubt
dir lang . . 1, 2, 3, 4 Akte hindurch – denn, wenn Dein
Besenius noch einmal aufträte, behielte
st du vielleicht recht. Damit da
ss
seine Ideen
sozusagen wieder er
scheinen, i
st nichts gethan: hier war ein Men
sch, der innerhalb
der Oekonomie des ganzen zu mehr be
sti
mmt
schien, als
einige
schöne Dinge auszu
sprechen, und er
giebt sich schminkt
sich nach der er
sten Scene ab. Das
verzeih
st mir du
so wenig wie die bekannte ungela
dene
Flinte.
Da
ss
Amschel i
st wie er i
st, das i
st dein Wille und dein gutes Recht. Ich glaub an ihn. Ob
man ihn, aus rein prakti
schen Gründen, nicht von einigen Widrigkeiten befreien
sollte,
ist wäre zu überlegen. Wäre ich eine große
Violinvirtuo
sin, nicht um die Welt ließ ich mich von einem K
erl anrühren, der öfter als 6 Mal in der Minute Schnudelchen
sagt. Aber das i
st ja Geschmack
sache. Wie oft aber
stört uns an einer
Frau nur der Gedanke an den der sie bese
ssen hat. Und i
st das Publikum nicht gerade so
!↓?↓ Das Problem (»
Die andere«) wird nicht
im gering
sten touchirt, wenn
Amschel ein wenig umgänglicher er
scheint. Die ganze Sti
mmung des letzten Aktes i
st höch
st
selt
sam, be
sonders merkwürdg die 2 neuen Personen
– wie
Lida in die Umgebung
geräth, i
st mir nicht
sehr klar geworden,
das ihr
Hier
sein hat was melodramati
sches
wenn auch ringsum alles
ins Grote
skphanta
sti
sche geht. Die Sterbe
scene, die zwei Männer
bei ihr – das i
st kühn. Kühn gewi
ss. Ob es noch mehr i
st, wei
ss ich heute nicht. Von
mittheilender Qual die
Scene
zwi
schen
Heinrich und der
Frau v Jello
im 4. Akt. Wenn ich heute an das Stück denke, das ich vor 8 Tagen gele
sen,
so i
st es
mir wie die Erinnerung an zuckende men
schliche Herzen.
Ich hoffe es geht dir gut. Von mir hör
st du bald mehr. Meine
Frau, die das
Stück auch mit tief
ster Antheilnahme
gele
sen, grüßt dich vielmals