Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 10. 12. 1903

|XVIII Spöttelg. 7.
Wien 10. 12. 903

mein lieber Hugo,

Sie haben offenbar einen Brief von mir nicht bekommen, den ich an Sie vor etwa 14 Tagen, ich glaube an dem Tag wo Ihre Elektra bei mir erschien, an Sie geschrieben habe. Das wesentlichste, was dieser Brief enthielt war die Bitte Ihre Elektra an Antoine, resp. an Dr Stephan Epstein Paris 78 rue de l’Assomption, Antoines Dramaturgen fürs Ausland zu senden, dem ich neulich über das Stück kurz berichtet habe.
|Dass B. Garlan beim zweiten Lesen so angenehm auf Sie wirkte, freut mich sehr – ich hab es seit dem Erscheinen nicht wieder gelesen wie ich es (wenn mich nicht äußerliche Gründe zu einer wiederholten Lectüre nöthigen) mit allen meinen gedruckten Sachen halte. Daher weiss ich auch seit etwa 8 Jahren nichts mehr von »Sterben«. Es stammt aus der Zeit, wo mich der »Fall« mehr interessirt hat als die Menschen, und ich denke das meiste aus dieser Epoche muss wie luftlos wirken. Diese Sachen – ich hab es neulich wieder am »Jour de |gloire« erfahren, wirken in anständiger französischer Übertragung besser als in meinem Deutsch. Die reine Tendenz des Erzählens ist dem romanischen Sprachgeist eingeboren, während es im deutschen gleichsam wie gegen die Natur wirkt, wenn die Mittheilung von Thatsachen der Seele und Menschlichkeit entbehrt. Die umgekehrte Probe kann man machen, wenn man irgend eine kurze Maupassant Geschichte die französisch noch lange nicht schwach wirkt, in deutscher Uebersetzung liest.
– Immerhin hab ich die Empfindg dass |meine Technik der inneren Entwicklung meiner Production noch nicht nachgekommen ist – was mir übrigens nicht bange macht. Es ist jetzt in mir wieder so eine Neigung Sachen nur anzufangen und zu skizziren wie in der Zeit, die der Anatol-Epoche vorherging. Am meisten beschäftige ich mich jetzt mit einer Art von Komödie und bin innerlich am meisten von dem Roman erfüllt, den ich im Frühjahr begonnen, den aber fortzusetzen ich nicht in genügend reiner Stimmung mich befinde.
In Concerte gehen wir nicht selten, ins Theater beinahe nie, aus persönlichen |Gründen waren wir bei der Novella d’Andrea – und ich hab es nicht ohne Bitterkeit empfunden, dass ich den Kainz nie werde den Sala spielen sehen. Denn das Burgtheater, wie Herr Schlenther an Fischer geschrieben, »reflectirt nicht« auf dieses Stück. Brahm gegenüber (was Sie ja wohl wissen dürften) hat sich Schl. über das Stück sehr misfällig geäußert; scheint es aber, wie Brahm sagt, ganz oberflächlich – und wie ich überzeugt bin – mit bösem Willen gelesen zu haben.
Und nun, wann sieht man sich wieder? Wie wär es, Montag oder Mittwoch Abend in dem Hietzinger Restaurant? Schrei|ben Sie mir, wann es Ihnen besser passt und ob auch Ihre Frau mitkommt.
Und Richard? Ich höre u sehe nichts von ihm. – Sobald das Wetter ein bischen angenehmer wird, kommen wir gern nach Rodaun.
Das andere, das ich bald bekomme, ist wohl das gerettete Venedig? –
Leben Sie wohl. HerzlichstIhr
 A.
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