Friedrich M. Fels an Arthur Schnitzler, 19. 9. 1895

|Zürich, am 19. September 1895

Lieber Doktor Schnitzler!

Verzeihen Sie, dass ich Ihnen auf Ihren Ischler Brief erst heute antworte. Ich hätte Ihnen gern Gutes von mir berichtet, doch es ist mir unmöglich. Es will scheinen, als ob ich gar nie zur Ruhe kommen könne. Die hiesigen Zeitungsverhältnisse sind traurig, sehr traurig, und es ist unglaublich, wie viel Mühe es kostet, etwas unterzubringen. Fast so viel oder vielleicht mehr als in Wien. Die Neue Zürcher Zeitung hat ein Doppelfeuilleton von mir gedruckt und mir auf einen zweiten Artikel einen Vorschuss von 50 francs gewährt; jetzt allerdings hat sie eine größere Bestellung bei mir gemacht, eine Reihe von Aufsätzen, jeder 500–600 Druckzeilen, in denen ich die Entwickelung der modernen deutschen Literatur darlegen soll. Das Honorar freilich ist schlecht genug: pro Druckzeile 8 cent 4 Kr. Andere Blätter zahlen bloß 5 cent. So habe ich einen ganzen Monat Theaterreferate geschrieben und am Ende 10 francs eingeheimst – hübsch, na?!
|Gegenwärtig bin ich von einer neuen Kalamität heimgesucht worden. Ich bin nämlich zur Abwechslung von meiner Schweizer Wirtin (– weil ich ihr die Miete 5 Tage, nachdem sie fällig war, noch nicht entrichten konnte –) unter Zurückbehaltung meiner Sachen auf die Strasse gesetzt worden, und hause nun wieder so bei Bekannten. Ich bin Ihnen, so dreckig mir’s auch ging, in diesen letzten 3 Monaten gewiss nicht mit Bitten zur Last gefallen; ich habe gedacht, überhaupt nicht mehr in eine solche Lage kommen zu können. Nun ist es doch eingetreten, und ich muss wieder an Ihre Güte und Freundschaft appellieren. Wären Sie imstande, zusammen mit andern mir noch einmal 25 fl zu senden; seien Sie überzeugt, ich würde mich nicht an Sie wenden, wenn ich irgend einen Ausweg wüsste. Die Bekannten, die ich hier habe, sind alle entweder selbst vollständig auf dem Hund, oder sie sind z.Zt. in Ferien. Wenn es in Ihrer Macht steht, meine Bitte zu erfüllen, wollen Sie freundlichst einen rekommandierten Brief senden an
Dr. Friedr. M. Fels
per Adresse Herrn Hugo Bettauer
|Sie haben wohl J. H. Mackay schon gesprochen. Er ist vor ein paar Tagen nach Wien abgereist, um dort eine Woche zu verweilen, und ich habe ihm viele, viele Grüsse an Sie aufgetragen. Pollandt wird diesen Winter ans hiesige Stadttheater kommen, dürfte wohl auch schon hier sein; doch hab ich ihn noch nicht gesehen. Am Volkstheater sind auch Wiener: die Jenny Neuhut, die Sie wohl noch aus dem Griensteidl kennen (Salten kennt sie jedenfalls) und ein Frl. Josephine Sorger, ein ganz allerliebster Käfer.
Haben Sie in Wien auch so abscheuliches Wetter gehabt? Hier hatten wir 5 Wochen keinen Regen und im Schatten 37°, in der Sonne 47° Celsius. Es war zum aus der Haut fahren. Gottlob, es ists etwas kühler.
Was Sie vielleicht interessieren wird, ich werde jetzt anfangen, Stunden zu geben: Literaturgeschischte u. dgl. In ein paar Tagen werde ich meine ersten Schülerinnen erhalten: 2 Amerikanerinnen, denen ich Deutsch beibringen soll, damit sie den Vorlesungen besser folgen können.
|Ihre Novelle in Briefen in der N. D. R. habe ich gelesen. Sie ist sehr hübsch, aber – Sie verzeihen mir – meines Erachtens auch nicht mehr. Illustrationen können ihr nicht schaden.
Also leben Sie wohl! verzeihen Sie meine Bitte und erfüllen Sie sie, falls Sie können! und auf jedenfall lassen Sie wieder einmal etwas von Sich hören! Beer-Hofmann, Hofmannsthal, Salten etc. bitte ich zu grüssen; vor allen aber seien Sie gegrüsst
von
Ihrem
dankbar ergebenen
 Fels
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar