|Zürich, am
19. September 1895
Lieber Doktor Schnitzler!
Verzeihen Sie, da
ss ich Ihnen auf Ihren
Ischler
Brief erst heute antworte. Ich hätte Ihnen gern Gutes von mir berichtet, doch es ist
mir unmöglich. Es will scheinen, als ob ich gar nie zur Ruhe ko
mmen kö
nne. Die hiesigen
Zeitungsverhältni
sse sind traurig, sehr traurig, und es ist unglaublich, wie viel
Mühe es kostet, etwas unterzubringen. Fast so viel oder vielleicht mehr als in
Zürich↓Wien↓. Die
Neue Zürcher Zeitung hat ein
Doppelfeuilleton von mir
gedruckt und mir auf einen zweiten Artikel einen Vorschu
ss von 50 francs gewährt;
jetzt allerdings hat sie eine größere Bestellung bei mir gemacht, eine Reihe von
Aufsätzen, jeder 500–600 Druckzeilen, in denen ich die Entwickelung der modernen
deutschen Literatur darlegen soll. Das Honorar freilich ist schlecht genug: pro
Druckzeile 8 cent 4 Kr. Andere Blätter zahlen bloß 5 cent. So habe ich einen ganzen
Monat Theaterreferate geschrieben und am Ende 10 francs eingeheimst – hübsch,
na?!
|Gegenwärtig bin ich von einer neuen Kalamität
heimgesucht worden. Ich bin nämlich zur Abwechslung von meiner
Schweizer
Wirtin (– weil ich ihr die Miete 5 Tage, nachdem sie fällig war, noch nicht
entrichten ko
nnte –) unter Zurückbehaltung meiner Sachen
auf die Stra
sse gesetzt worden, und hause nun wieder so bei Beka
nnten. Ich bin Ihnen, so dreckig mir’s auch ging, in
diesen letzten 3 Monaten gewi
ss nicht mit Bitten zur Last gefallen; ich habe gedacht,
überhaupt nicht mehr in eine solche Lage ko
mmen zu kö
nnen. Nun ist es doch eingetreten, und ich mu
ss wieder an
Ihre Güte und Freundschaft appellieren. Wären Sie imstande, zusa
mmen mit andern mir noch einmal 25 fl zu senden; seien
Sie überzeugt, ich würde mich nicht an Sie wenden, we
nn
ich irgend einen Ausweg wü
sste. Die Beka
nnten, die ich
hier habe, sind alle entweder selbst vollständig auf dem Hund, oder sie sind z.Zt.
in
Ferien. We
nn es in Ihrer Macht steht, meine Bitte zu
erfüllen, wollen Sie freundlichst einen reko
mmandierten
Brief senden an
Dr. Friedr. M. Fels
per Adresse Herrn Hugo
Bettauer
|Sie haben wohl
J. H. Mackay schon gesprochen. Er ist vor ein paar Tagen nach
Wien abgereist, um dort eine Woche zu
verweilen, und ich habe ihm viele, viele Grü
sse an Sie aufgetragen.
Pollandt wird diesen Winter ans hiesige
Stadttheater ko
mmen,
dürfte wohl auch schon hier sein; doch hab ich ihn noch nicht gesehen. Am
Volkstheater sind auch
Wiener: die
Jenny
Neuhut, die Sie wohl noch aus dem
Griensteidl ke
nnen (
Salten ke
nnt sie jedenfalls) und
ein Frl.
Josephine Sorger, ein ganz
allerliebster Käfer.
Haben Sie in
Wien auch so abscheuliches Wetter
gehabt? Hier hatten wir 5 Wochen keinen Regen und im Schatten 37°, in der So
nne 47° Celsius. Es war zum aus der Haut fahren. Gottlob,
es ists etwas kühler.
Was Sie vielleicht intere
ssieren wird, ich werde jetzt anfangen, Stunden zu geben:
Literaturgeschischte u. dgl. In ein paar Tagen werde ich meine ersten Schüleri
nnen erhalten: 2
Amerikanerinnen, denen ich Deutsch beibringen soll, damit
sie den Vorlesungen be
sser folgen kö
nnen.
|Ihre
Novelle in Briefen in der
N. D. R. habe ich gelesen. Sie ist sehr hübsch, aber – Sie verzeihen mir –
meines Erachtens auch nicht mehr. Illustrationen kö
nnen
ihr nicht schaden.
Also leben Sie wohl! verzeihen Sie meine Bitte und erfüllen Sie sie, falls Sie kö
nnen! und auf jedenfall la
ssen Sie wieder einmal etwas
von Sich hören!
Beer-Hofmann,
Hofmannsthal,
Salten etc. bitte ich zu
grü
ssen; vor allen aber seien Sie gegrü
sst
von
Ihrem
dankbar ergebenen
Fels