Friedrich M. Fels an Arthur Schnitzler, [1. Hälfte Juni 1895]

Verzeihen Sie, dass ich Sie bis jetzt ohne Nachricht liess; aber einmal schrieb mir Magaziner, er habe Sie gesprochen und Ihnen von mir erzählt, und dann wünschten Sie Briefe und ich brachte es bisher nur zu Karten. Endlich aber – das können Sie sich denken – war ich in der ersten Zeit in trostloser Stimmung, und aus der heraus mochte ich Ihnen nicht schreiben, ich wollte wenigstens vorher erfahren, ob ich überhaupt noch werde leben können; wenn auch noch nicht, wie ich werde leben können. Der erste Tag hier brachte mir gleich Enttäuschungen: Spitteler ist nicht mehr Feuilletonredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Widman wohnt z. Z. in Italien, der Bekannte, an den mich Magaziner empfahl, ist ein eckelhafter Lump, ein Reporterjüngling miserabelster Sorte. Dazu die Nachricht, dass ich auch hier wahrscheinlich werde ausgewiesen werden. Nun zeigte es sich auch diesmal, dass nichts so heiss gegessen, wie gekocht wird. Die N. Z. Z. hat bereits ein Feuilleton von mir acceptiert und wird weitere acceptieren, mit Widman wird bei seiner Rückkehr auch etwas zu machen sein, und was die Hauptsache anlangt, so werde ich wahrscheinlich gegen Erlag einer Kaution von 1,500 frcs in monatlichen Raten à 20 frcs hier bleiben können. Freilich wirds mir in |der ersten Zeit miserabel gehen; denn das Leben hier ist furchtbar teuer, oder besser gesagt das Existenzminimum liegt viel höher als in Wien. Mit 50 fl monatlich kann man einfach nicht leben. Ich muss auf alle Weise zu verdienen suchen. Die Presse hat seit 1 Monat ein Feuilleton von mir und druckt es nicht; obgleich es angenommen ist. Sie würden mich sehr verpflichten, wenn Sie deshalb mit Hirschfeld redeten oder, falls er schon abgereist ist, ihm wenigstens schrieben. Soll ich ihm auch schreiben? und wohin? und was? Auch WengrafOsten rühren sich nicht; ich habe, seit ich hier bin, kein Belegexemplar erhalten, obgleich sie meine Adresse doch wissen.
Vom Zürcher literarischen Leben kann ich Ihnen noch nichts sagen; ich kenne noch niemanden. Henckell ist verreist, mit M. R. v. Stern verkehrt niemand; wird mir nichts übrig bleiben, als Ilse Frapan aufzusuchen und mir ihre Novellen vorlesen zu lassen. Bölsche lebt wieder in Berlin, Halbe in München. Windberg hab ich getroffen und treff ich oft; er ist noch mein Trost. Ausserdem kann ich von anständigen Menschen hier den Schauspieler Néher, früher bei den Meiningern, und einen ungarischen Studenten; sonst besteht die Fremdenkolonie grösstenteils aus Lumpenpack. Übrigens ist die Erfahrung zu machen, dass die deutschen und österreichischen |Deserteure; deren hier eine Unmasse lebt, viel anständiger sind als die in der Heimat nicht beanständigten, mit den wundervollsten Tassen versehenen Fremden – wobei ich nicht pro domo rede. Mit den Zürchernsst sich schwer was anfangen; man muss viel überwinden. Übrigens muss, will und werde ich mich angewöhnen und selbst ein ganzer Zürcher werden, Familie gründen etc, was dazu gehört. Halten Sie mir den Daumen, dass mich das Mädel mag. Dann werd ich in zwei Jahren Bürger sein und heiraten.
Schreiben Sie mir einmal; ausser von Magaziner hab ich von niemandem Nachricht, und Sie wissen nicht, wie ich danach lechze.
Herzlichst
Ihr
dankbar ergebener
Fels
Bitte, grüssen Sie Beer-Hofmann, Hofmannsthal, Salten.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar