ich habe kürzlich er
st Ihren »
Anatol« kennen gelernt und, Dank der Freundlichkeit des Herrn
Dr Goldmann, darauf auch die beiden Manu
skripte »
Eine überspannte Person« und »
Halb zwei« le
sen dürfen. Das war ein großer Genuß,
so groß, wie ihn nur die
echte
sten Bücher geben. Wenn man
sich hinterher darüber klar zu werden ver
sucht,
was ihn in jedem einzelnen Fall bedingt hat,
so
steht man überra
scht vor der
Fülle von Talent, die zu
sammmen
strömen mußte, um die
se feinen Sachen zu
schaffen. Denn es i
st eine Verbindung von Gei
st, Ge
staltungskraft und
dichteri
scher Stimmung in ihnen, wie
sie gewiß
selten vorkommt. Und doch i
st es
nicht einmal dies, was ich am mei
sten
|daran bewundere,
sondern daß es gelang, etwas an
sich Gehaltvolles mit
so
unvergleichlich leichter und zarter Hand zu formen, daß es in den Feinheiten der
graziö
sen Form gleich
sam verflüchtigt wird. Man erhält, wie im Tanz, das Gefühl
der aufgehobenen Schwere eines Gegen
standes. Und dennoch bleibt der Eindruck des
Gehaltvollen, Inhaltvollen, nach beendeter Lektüre be
stehen, ja er ver
stärkt
sich noch, indem man die einzelnen Scenen unwillkürlich noch vorwärts und
rückwärts weiter
spinnt, als handle es
sich um ein ge
schautes Stück wirklichen
Lebens mit offenen Per
spektiven nach beiden Seiten. Im »
Anatol« gilt dies am mei
sten von »
Weihnachtseinkäufe« und »
Denksteine«, und im höch
sten Grade von den beiden Manu
skripten, die, meiner
Empfindung nach, den »
Anatol« übertreffen. Das eine der
selben, »
Eine überspannte Person«, war mir auch noch be
sonders merkwürdig wegen der Art, wie hier die
Frau von den Frauen
|in allen übrigen
Einaktern angehoben wird, und wegen der ironi
schen Beleuchtung die,
schon vom
vortrefflichen Titel aus, hier auf den Mann fällt. Es wäre intere
ssant, die
ses
kleine Drama nach einer be
stimmten Seite hin in Vergleich zu ziehen mit
»
Ein Märchen«, welches ja wahrhaftig eben
so gut heißen könnte: »
Ein überspannter Mann,« – und zwar
ohne ironi
schen Nebenklang im Titel. Wird man nicht
davon frappirt, wie einfach,
selb
stver
ständlich und natürlich das Gefühl in der
ȟber
spannten« Frau, und wie gänzlich verdreht und verbildet es dagegen im
über
spannten Mann i
st? Mann und Frau,
so einander gegenüberge
stellt, nehmen
sich
fa
st wie Krankheit und Ge
sundheit aus. Und verräth es nicht etwas,
dwenn ein Autor, um die Frau in ihrer tiefern
Liebesempfindung zu
schildern, nur auf das Näch
ste, Natürlich
ste zurückzugreifen
braucht, während er im gleichen Fall beim Mann
sogleich in
|eine ganze Wirrniß von zwie
spältigen
verzwickten und wider
spruchsvollen Empfindungen hineingeräth? Auf mich hat das
»
Märchen« weit
schwächer gewirkt als der »
Anatol« und es kam mir vor, als
sei eine viel geringere poeti
sche und
pla
sti
sche Kraft darin lebendig, aber der Grund kann auch
sein, daß ich Ihren
Märchenhelden ab
solut nicht leiden mag und deshalb dem Autor Unrecht thue.
Auffallend i
st es, wie
schlecht der Mann überhaupt in Ihren Dichtungen wegkommt,
–
so
schlecht, daß man ver
sucht i
st, an ein klein wenig Verläumdung zu glauben.
Gleichviel ob er
sich als der verhältnißmäßig Bravere oder Bö
sere giebt, – immer
i
st er, neben der Frau, der Unintere
ssantere. Alle die
se Frauen
sind ihm, und
wäre es auch nur in der Un
schuld ihrer Nichtsnutzigkeit, irgendwie überlegen.
Eine wunderliche Sorte von Selb
stverleugnung
↓des Autors↓
liegt in fa
st jedem Strich, mit dem der Mann den Frauen gegenüber ge
schildert
i
st,
|– wer den Mann
so
schildert,
räumt der Frau damit den Platz. Ich kann in den von Ihnen gewählten Fällen die
Richtigkeit Ihrer Dar
stellung in die
sem Punkt nicht recht beurtheilen, aber
natürlich bin ich, als Frau, außerordentlich bereit, ihr ohne Weiteres jede nur
denkbare Lebenswahrheit zuzuge
stehn. –
Sie werden gewiß etwas verwundert
sein, wenn die
ser gänzlich überflü
ssige Brief
Ihnen zukommt, doch das hat Ihr Freund, Herr
Dr Goldmann, ganz und gar auf
seinem Gewi
ssen. Ich hätte
son
st vielleicht
be
scheidentlich den Mund gehalten, da es nach meiner Erfahrung nur wenig oder
gar keine Freude macht, Stimmen aus dem Publikum über Arbeiten zu vernehmen, die
einem doch an's Herz gewach
sen
sind, wenn
sie was taugen. Nur die paar
seltenen
Men
schen, die man liebt oder die man fürchtet,
sollte man darüber hören. Denn
das, was man am lieb
sten hat, theilt man ja
|nicht leicht und nicht gern mit
vielen Andern, und noch weniger gern läßt man es von Andern analy
siren und
begucken, ganz einerlei ob Lob oder Tadel dabei herauskommt.