|Berghof, 2. IX. 12

Lieber,

ich hoffe sehr, dass Reinhardts Mirakel verspätet aufgeführt wird, und dass mich also nichts dazu zwingt, die Eucharistische Luft in Wien zu atmen. Wenn Otti wieder da und der Berghof ruhiger geworden ist, möchte ich wol gerne noch ein paar Wochen still hier arbeiten. Was sagen Sie zum Burgtheater? Der arme Berger tut mir leid, aber ich kann mir nicht helfen – wenn auch ein Fiasco oftmals besser ist als das Sterben, hier hat der Tod doch einen an sich schon nicht übermäßig glücklichen Menschen vor sehr unglücklichen Enttäuschungen bewahrt. Könnten wir Brahm oder vielleicht sogar Rudolf Rittner bekommen, dann wäre doch vielleicht für die Zukunft ein gutes menschliches und künstlerisches Verhältnis zum Burgtheater möglich. Aber dass Herr von Kralik als Director auch nur genannt werden |kann, dass die Leo-Gesellschaft ihre Zeit schon so sehr für gekommen hält, das ist ein böses Zeichen. Franz Ferdinand wirft eben auch hier schon seine schwarzen Schatten voraus! Wie ich die Gesellschaft im Burgtheater zu kennen glaube, werden sie mit Wonne und Schadenfreude und mit allen Übertreibungen der Strebsamkeit an der Katholisisirung des Repertoires mithelfen. Ich habe sehr das Gefühl, dass in dieser Beziehung ungeahnte Dinge bevorstehen. Wer ljäben wird, wird sehen!
Auf gutes Wiedersehen und viele herzliche Grüße
Ihr  Salten
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