Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 13. 5. [1903]

Berlin, 13. Mai.

Mein lieber Freund,

Ich sende heut an Olga die versprochene Tischglocke ab. Ich konnte sie nicht früher senden, weil ich seit meiner Rückkehr aus Wien ohne Diener war, der mir das Paket hätte machen und expediren können. Entschuldige mich bei Olga wegen der Verspätung und grüße sie herzlichst.
|Ich habe in letzter Zeit Oscar Wilde gelesen und in ihm einen der glänzendsten modernen Geister gefunden. Lies’ »Fingerzeige«, in der Übersetzung von Greve (Verlag von Bruns in Minden). Die beiden Dialoge über die Kritik als schaffende Kunst geben wieder, was ich im Innersten über die Kritik denke, – mit den |Worten eines großen Dichters und sprühenden Geistes allerdings, die ich nie im stande gewesen wäre zu finden.
Meine Musset-Übersetzung ist in Frankfurt durchgefallen. Musset scheint nicht mehr bühnenmöglich zu sein; ich habe mich durch den glänzenden Dialog irreführen lassen. Wahrscheinlich ziehe ich das Stück nun auch in |Berlin zurück.
Ich vermisssehr Deine lieben Nachrichten. Wie geht es Dir? Warum schweigst Du so sehr?
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldm
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