Felix Salten an Arthur Schnitzler, 22. 5. 1902

|Florenz, 22. Mai 02.
Lieber Arthur, eben las ich Ihre kleine Novelle in der »N. fr. Pr.« Ich glaube, das ist nicht blos an sich etwas Gutes, sondern auch ein Schritt weiter. Es ist alles Psychologische in eine knappe Gegenständlichkeit verlegt, und gut zusammengefaßt. Meunier und Maupassant. Und es ist wirklich »erzählt.« Ich finde neue Spuren, und täusche mich hoffentlich nicht. Nebenbei: die ganze Renate liegt auch drin, im Extract, und eigentlich viel plastischer und aufrichtiger, obwol vorn und hinten alles fehlt. Der Titel »Dämmerseele« scheint mir aber ganz verfehlt. – Geschrieben nimmt sich alles härter aus bitte – reduziren Sie also das Folgende auf die Wirkung des Gesagten: Es ist ein Dörmann Titel, d. h. ein Versuch eine Gattung abzugrenzen, zu benennen, aber die Grenze und die Benennung sind nicht scharf, und dem Wort haftet eine leidige, ins Sentimentale gehende Weichlichkeit an. Es liegt auch kaum die Notwendigkeit vor, durch den Titel etwas zu erklären; mit ihm selbst das Wort zu ergreifen. Und gerade mit diesem Titel ist alles in einer eigentlich hindernden und auch irreführenden Art vorweg genommen. Er ist vielleicht aus der Hofkirche besser zu holen. Am besten aus der Einfachheit. Ganz außerordentlich ist der Schluß. Das geht in kurzer Wendung |zu einer beinahe dramatischen Höhe, jedesfalls zu einem weiten Ausblick. Nun bedaure ich es, dass ich noch nicht dazu kam, über die Bertha Garlan zu schreiben. Das will ich im Sommer nachholen. Jetzt war und bin ich eben sehr mit mir selbst beschäftigt.
herzlichst Ihr
Salten
    Bildrechte © University Library, Cambridge