Ich komme aus
Paris zurück und höre hier, daß Du mit Deinen
drei Einaktern wieder einen großen und
schönen Erfolg gehabt. Ich freue mich darüber von
Herzen und beglückwün
sche Dich aufs Wärm
ste. Gele
sen habe ich noch keine Kritik, aber
ich denke, ich finde die
Wiener Blätter morgen hier im
Büreau. Den
»Grünen Kakadu« las ich noch auf der Rei
se von
Wien nach
Frankfurt. Ein vortreffliches
Stück. Da ich aber etwas ganz Vollendetes
erwartete, hat es mich doch auch ein wenig enttäu
scht. Ich erhoffte Revolution und
Bastillen
sturm, fand aber zuletzt doch nur
wieder eine Liebesge
schichte mit einem Theatermädel. Ander
seits i
st es, glaube ich,
in der Ausführung eines Deiner be
sten Stücke und bedeutet doch
einen auch einen gewaltigen Schritt nach vorwärts
von
dem alten T von Deinem alten Ton und Deinen alten
Stoffen zu irgend etwas Neuem, das
sehr
schön werden wird.
|Mein lieber Freund, ich komme al
so nicht nach
Wien. Es war ein quälendes wochenlanges Ringen und
ein
schwerer Ent
schluß. Wie alle Ent
schlü
sse im Augenblick nachdem man
sie gefaßt
hat, er
scheint mir auch die
ser jetzt recht tadelnswerth. Aber das war zu
erwarten.
Als ich von
Wien nach
Frankfurt kam und
sich in
Frankfurt die
Wiener Eindrücke zu klären
begannen,
schien es mir zunäch
st unmöglich, mich wieder in den
Wiener Journalismus zu fügen, nachdem ich Jahre lang unter
größeren und freieren Verhältni
ssen gelebt. Und nachdem ich Jahre lang in der »
Frankfurter Zeitung« gearbeitet, wo ich
ungehindert meine An
sichten entfalten konnte und eigentlich nur mein Gewi
ssen um Rath
zu fragen brauchte, er
schien es mir unmöglich, mich in die »
Neue Freie Presse«
einfügen hineinzufinden mit ihrer Rück
sichtennehmerei und Cliquen-Wirth
schaft, welche verlangt, daß
man Die
ses be
schönigt und Jenes ver
schweigt und daß man
Herzls durchgefallene Stücke als die
|Mei
sterwerke eines genialen
Schriftstellers dem Publicum anprei
st.
M Mir grau
ste ferner vor dem Arbeitsgebiet, das mir
zugewie
sen werden
sollte, der ausländi
schen Politik, während doch mein ganzes
Be
streben dahin geht, möglich
st aus der Politik heraus in die Literatur oder
wenig
stens in den mit Literatur
sich be
schäftigenden Journalismus zu kommen. Und mir
grau
ste vor der Rie
sen-Arbeit, die man mir in
Wien
aufbürden wollte, vor der Stellung des Redaktions-Culis, der alle La
sten
trägt, vor der rück
sichtslo
sen Ausbeutung der Sklavenhalter in
Wien (während die Sklavenhalter in
Frankfurt doch ein wenig
rüc rück
sichtsvoller ausbeuten). Es i
st wahr, als Compen
sation für das Alles hatte
ich Euch in
Wien.
E Gewiß, die
schön
ste aller Compen
sationen. Aber
an die Haupt
sache im Leben i
st die Arbeit, die man thut. Davon geht alle
Sonne, alles Behagen aus. Und wenn man in
seinen Wirkungskreis nicht hineinpaßt,
so
i
st das Da
sein in
seinem Wichtig
sten verfehlt und man wird tiefunglücklich, trotz
allen Verkehrs
|mit
sehr lieben Men
schen. Be
sser
eine Arbeit, die Einem wenig
stens einigermaßen zu
sagt, und keine lieben Men
schen,
als, wenn man
schon einmal wählen muß, liebe Men
schen und eine widerwärtige Arbeit.
↓Hier muß man Stoiker sein und darf seinem weichen Herzen nicht
nachgeben.↓ Auch kommt dazu, daß Jeder von Euch jetzt
sein eigenes Leben lebt
und daß ich von
K Keinem,
selb
st vom näch
sten Freunde nicht, bean
spruchen darf, er
solle mir
mein Leben leben helfen. Während die
ser Zeit wurde ich in
Frankfurt sehr zum Bleiben gedrängt. Ich
sah, daß
es man in der
Redaktion mich achtete und
schätzte, merkte auch, daß das
Publicum auf mich hielt. Und ich dachte mir, daß es eigentlich Wahn
sinn wäre, zehn
Jahre Arbeit, die ich in das
Blatt hier ge
steckt, wegzuwerfen
, und nach
Wien zu gehen, wo kein Men
sch mich kennt, wo
nicht einmal Ihr mehr etwas von meinen Lei
stungen wißt, wo ich von Anfang anfangen
müßte und mir Schritt für Schritt, unter Gott weiß
welchen Kämpfen,
|eine Stellung er
st
schaffen müßte,
die ich hier bereits be
sitze. Zukunft endlich (wenn ich überhaupt Zukunft habe) gibt
es doch nur in
Deutschland, nicht in
Österreich. Dazu kam noch Allerlei, was die
Familie angeht.
Immerhin wollte ich mit der »
Neuen Freien Presse«
nicht gleich
ab abbrechen und
spa spann die Sache weiter. Wir waren verblieben (die
Chefredacteurs und ich), daß zur Be
siegelung meines
Eintritts in die
Redaktion
Vertragsbriefe ausgetau
scht werden
sollten. Ich
sandte einen früheren Brief von
Bacher, den die
ser behufs Auf
setzung des Vertrages gewün
scht hatte, an ihn zurück und
bat um Über
sendung des Vertragsbriefes. Wenige Tage darauf
starb
Schiff, der
Berliner Corre
spondent der
N.
Fr. Pr.; ich bekam von der
Redaktion ein Telegramm mit der Aufforderung, den
Berliner
Correspondenten der
Frankfurter Zeitung als als Nachfolger für
Schiff zu engagiren.
|Ich telegraphirte
↓und schrieb↓ zurück, das ginge aus die
sem und jenem Grunde
nicht, bot mich aber zugleich als Nachfolger
Schiffs in
Berlin an. In der That wäre mir die Stellung in
Berlin lieber gewe
sen,
als die als die in
Wien. Ich hätte von
Berlin aus über Theater und Kun
st ge
schrieben
und wäre auch der
Wiener Redaktions-Wirth
schaft in
Berlin sehr
entrückt entrückt gewe
sen. Meiner An
sicht nach hätte
die
N. Fr. Pr. in mir einen recht geeigneten
Corre
spondenten für
Berlin gehabt. Seit jenem
Augenblick nun (Ende Januar) habe ich
vo von der
N. Fr.
Pr. kein Wort mehr gehört. Mehr als vier Wochen vergingen,
ohne diese ich↓und ich bekam↓ nicht nur keinen Be
scheid über mein Anerbieten bezüglich des
Wiener Poste Berliner Po
stens,
sondern auch nicht einmal den
Vertragsbrief, den die Leute mir
sofort hätten
schicken mü
ssen. Ich wartete und
wartete (dies der Grund, weshalb ich Dir
so lange nicht ge
schrieben), hielt es
natürlich für unter
|meiner Würde zu drängen, und
nachdem bis zum Ende Februar immer noch weder Be
scheid
noch Vertrag aus
Wien eingetroffen waren,
unterzeichnete ich einen neuen Vertrag mit der
Frankfurter Zeitung. Ge
stern aber habe ich
ein Telegramm von
Bacher erhalten, der
sehr erzürnt darüber i
st, daß ich nicht am 1. März, wie mündlich
,
be
sprochen, in der
Redaktion in
Wien angetreten bin! Ich habe ihm den
Sachverhalt auseinanderge
setzt, und nach die
sem Telegramm wird mir das Verhalten der
Leute noch räth
selhafter als zuvor.
In
Frankfurt trete ich in die
Feuilleton-Redaktion ein, als
Adlatus von
Dr. Mamroth, und
soll zu Rei
se-Mi
ssionen verwendet werden (im Herb
st nach
Rußland, im näch
sten Frühjahr zur
Pariser Weltaus
stellung, zu großen
Premièren in
Deutschland und zu ähnlichen Anlä
ssen).
So ×× So finde ich mich denn, nach
so viel Wirr
sal und Schwanken,
××h×× auf einmal in der kleinen
Stadt, ein
sam, ohne Freunde, unter lä
stigen Familien-
|Verhältni
ssen.
Fe Fern von der großen Welt
!↓.↓ Und mir i
st, als
sei eine Thür hinter mir ins Schloß gefallen.
Habe ich recht gehandelt oder falsch? Wird ××s diese neue Existenz zu
ertragen sein? Ich weiß es nicht.
Bitte, zeig’ dem
Richard die
sen Brief (wenn es ihn intere
ssirt). Son
st aber betrachte das Mitgetheilte
als vertraulich; und wenn man
d Dich fragt, warum ich
nicht zur
N. Fr. Pr. gekommen bin,
so
sprich sage, daß die Verhandlungen
sich in die Länge gezogen haben und daß die Sache noch unent
schieden i
st. Ich möchte
mir nämlich, wenn es ginge, ein
e Hinterthür für die Zukunft
offen la
ssen.
Bitte,
schreib’ mir bald, lieb
ster Freund, und vor Allem: komm’ demnäch
st nach
Frankfurt!
Viele treue Grüße!
Dein
Paul Goldmann