Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 5. 3. [1899]

|Frankfurt, 5. März.

Mein lieber Freund,

Ich komme aus Paris zurück und höre hier, daß Du mit Deinen drei Einaktern wieder einen großen und schönen Erfolg gehabt. Ich freue mich darüber von Herzen und beglückwünsche Dich aufs Wärmste. Gelesen habe ich noch keine Kritik, aber ich denke, ich finde die Wiener Blätter morgen hier im Büreau. Den »Grünen Kakadu« las ich noch auf der Reise von Wien nach Frankfurt. Ein vortreffliches Stück. Da ich aber etwas ganz Vollendetes erwartete, hat es mich doch auch ein wenig enttäuscht. Ich erhoffte Revolution und Bastillensturm, fand aber zuletzt doch nur wieder eine Liebesgeschichte mit einem Theatermädel. Anderseits ist es, glaube ich, in der Ausführung eines Deiner besten Stücke und bedeutet doch auch einen gewaltigen Schritt nach vorwärts von Deinem alten Ton und Deinen alten Stoffen zu irgend etwas Neuem, das sehr schön werden wird.
|Mein lieber Freund, ich komme also nicht nach Wien. Es war ein quälendes wochenlanges Ringen und ein schwerer Entschluß. Wie alle Entschlüsse im Augenblick nachdem man sie gefaßt hat, erscheint mir auch dieser jetzt recht tadelnswerth. Aber das war zu erwarten.
Als ich von Wien nach Frankfurt kam und sich in Frankfurt die Wiener Eindrücke zu klären begannen, schien es mir zunächst unmöglich, mich wieder in den Wiener Journalismus zu fügen, nachdem ich Jahre lang unter größeren und freieren Verhältnissen gelebt. Und nachdem ich Jahre lang in der »Frankfurter Zeitung« gearbeitet, wo ich ungehindert meine Ansichten entfalten konnte und eigentlich nur mein Gewissen um Rath zu fragen brauchte, erschien es mir unmöglich, mich in die »Neue Freie Presse«  hineinzufinden mit ihrer Rücksichtennehmerei und Cliquen-Wirthschaft, welche verlangt, daß man Dieses beschönigt und Jenes verschweigt und daß man Herzls durchgefallene Stücke als die |Meisterwerke eines genialen Schriftstellers dem Publicum anpreist. Mir grauste ferner vor dem Arbeitsgebiet, das mir zugewiesen werden sollte, der ausländischen Politik, während doch mein ganzes Bestreben dahin geht, möglichst aus der Politik heraus in die Literatur oder wenigstens in den mit Literatur sich beschäftigenden Journalismus zu kommen. Und mir grauste vor der Riesen-Arbeit, die man mir in Wien aufbürden wollte, vor der Stellung des Redaktions-Culis, der alle Lasten trägt, vor der rücksichtslosen Ausbeutung der Sklavenhalter in Wien (während die Sklavenhalter in Frankfurt doch ein wenig rücksichtsvoller ausbeuten). Es ist wahr, als Compensation für das Alles hatte ich Euch in Wien. Gewiß, die schönste aller Compensationen. Aber die Hauptsache im Leben ist die Arbeit, die man thut. Davon geht alle Sonne, alles Behagen aus. Und wenn man in seinen Wirkungskreis nicht hineinpaßt, so ist das Dasein in seinem Wichtigsten verfehlt und man wird tiefunglücklich, trotz allen Verkehrs |mit sehr lieben Menschen. Besser eine Arbeit, die Einem wenigstens einigermaßen zusagt, und keine lieben Menschen, als, wenn man schon einmal wählen muß, liebe Menschen und eine widerwärtige Arbeit. Hier muß man Stoiker sein und darf seinem weichen Herzen nicht nachgeben. Auch kommt dazu, daß Jeder von Euch jetzt sein eigenes Leben lebt und daß ich von Keinem, selbst vom nächsten Freunde nicht, beanspruchen darf, er solle mir mein Leben leben helfen. Während dieser Zeit wurde ich in Frankfurt sehr zum Bleiben gedrängt. Ich sah, daß man in der Redaktion mich achtete und schätzte, merkte auch, daß das Publicum auf mich hielt. Und ich dachte mir, daß es eigentlich Wahnsinn wäre, zehn Jahre Arbeit, die ich in das Blatt hier gesteckt, wegzuwerfen und nach Wien zu gehen, wo kein Mensch mich kennt, wo nicht einmal Ihr mehr etwas von meinen Leistungen wißt, wo ich von Anfang anfangen und mir Schritt für Schritt, unter Gott weiß welchen Kämpfen, |eine Stellung ersschaffen müßte, die ich hier bereits besitze. Zukunft endlich (wenn ich überhaupt Zukunft habe) gibt es doch nur in Deutschland, nicht in Österreich. Dazu kam noch Allerlei, was die Familie angeht.
Immerhin wollte ich mit der »Neuen Freien Presse« nicht gleich abbrechen und spann die Sache weiter. Wir waren verblieben (die Chefredacteurs und ich), daß zur Besiegelung meines Eintritts in die Redaktion Vertragsbriefe ausgetauscht werden sollten. Ich sandte einen früheren Brief von Bacher, den dieser behufs Aufsetzung des Vertrages gewünscht hatte, an ihn zurück und bat um Übersendung des Vertragsbriefes. Wenige Tage darauf starb Schiff, der Berliner Correspondent der N. Fr. Pr.; ich bekam von der Redaktion ein Telegramm mit der Aufforderung, den Berliner Correspondenten der Frankfurter Zeitung  als Nachfolger für Schiff zu engagiren. |Ich telegraphirte und schrieb zurück, das ginge aus diesem und jenem Grunde nicht, bot mich aber zugleich als Nachfolger Schiffs in Berlin an. In der That wäre mir die Stellung in Berlin lieber gewesen, als die in Wien. Ich hätte von Berlin aus über Theater und Kunst geschrieben und wäre auch der Wiener Redaktions-Wirthschaft in Berlin sehr entrückt gewesen. Meiner Ansicht nach hätte die N. Fr. Pr. in mir einen recht geeigneten Correspondenten für Berlin gehabt. Seit jenem Augenblick nun (Ende Januar) habe ich von der N. Fr. Pr. kein Wort mehr gehört. Mehr als vier Wochen vergingen, und ich bekam nicht nur keinen Bescheid über mein Anerbieten bezüglich des Berliner Postens, sondern auch nicht einmal den Vertragsbrief, den die Leute mir sofort hätten schicken müssen. Ich wartete und wartete (dies der Grund, weshalb ich Dir so lange nicht geschrieben), hielt es natürlich für unter |meiner Würde zu drängen, und nachdem bis zum Ende Februar immer noch weder Bescheid noch Vertrag aus Wien eingetroffen waren, unterzeichnete ich einen neuen Vertrag mit der Frankfurter Zeitung. Gestern aber habe ich ein Telegramm von Bacher erhalten, der sehr erzürnt darüber ist, daß ich nicht am 1. März, wie mündlich besprochen, in der Redaktion in Wien angetreten bin! Ich habe ihm den Sachverhalt auseinandergesetzt, und nach diesem Telegramm wird mir das Verhalten der Leute noch räthselhafter als zuvor.
In Frankfurt trete ich in die Feuilleton-Redaktion ein, als Adlatus von Dr. Mamroth, und soll zu Reise-Missionen verwendet werden (im Herbst nach Rußland, im nächsten Frühjahr zur Pariser Weltausstellung, zu großen Premièren in Deutschland und zu ähnlichen Anlässen). So finde ich mich denn, nach so viel Wirrsal und Schwanken, auf einmal in der kleinen Stadt, einsam, ohne Freunde, unter lästigen Familien-|Verhältnissen. Fern von der großen Welt. Und mir ist, als sei eine Thür hinter mir ins Schloß gefallen.
Habe ich recht gehandelt oder falsch? Wird diese neue Existenz zu ertragen sein? Ich weiß es nicht.
Bitte, zeig’ dem Richard diesen Brief (wenn es ihn interessirt). Sonst aber betrachte das Mitgetheilte als vertraulich; und wenn man Dich fragt, warum ich nicht zur N. Fr. Pr. gekommen bin, so sage, daß die Verhandlungen sich in die Länge gezogen haben und daß die Sache noch unentschieden ist. Ich möchte mir nämlich, wenn es ginge, eine Hinterthür für die Zukunft offen lassen.
Bitte, schreib’ mir bald, liebster Freund, und vor Allem: komm’ demnächst nach Frankfurt!
Viele treue Grüße!
Dein
 Paul Goldmann
Grüße an Deine Freundin!
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