Hugo Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 3. 6. 1929

|Rodaun 3. Juni 29

mein lieber Arthur,

so waren Sie also in der Zwischenzeit nicht verreist. Sie haben den Besuch Ihres Schwiegersohnes hier empfangen, statt mit ihm zu reisen, Sie waren eine Woche lang recht unwohl, sind aber gottlob wieder völlig davon hergestellt – dies alles, wenn ich den Bericht der guten Freundin B. Z. recht verstehe.
Ich war 14 Tage, genau 13 Tage, in Italien, bis gegen Rom hin, ohne das eigentlich römische Gebiet zu berühren. Es waren sehr schöne Tage.
Vor dem Wegfahren las ich sehr viel in Ihren Sachen, erzählendes u. dramatisches durcheinander, alles mit dem größten Vergnügen. Ja, so gut Leutnant Gustl erzählt ist, »Fräulein Else« schlägt ihn freilich noch; das ist innerhalb der deutschen Literatur wirklich ein genre für sich, das Sie geschaffen haben. Sehr großen Eindruck machte mir auch der »Einsame Weg«; so wenige Figuren eigentlich, und ein so großer Reichtum erreicht. Den Roman habe ich |auch wieder gelesen, so wie Sie es vorschlugen, von Capitel V bis zum Ende. Aber ich habe diese Arbeit nun einmal weniger gern, und ich könnte es auch begründen. Die Einwände beginnen bei der Hauptfigur, die mir nicht ganz consistent erscheint (ihr Äußeres und Inneres nicht ganz übereinstimmend) – aber der Haupteinwand geht tiefer. Aber darüber müsste man sich, wenn überhaupt, mündlich unterhalten. – Vor ein paar Tagen, gegen Abend, kam ich zurück, wollte mir irgend ein Buch suchen, und griff wieder nach einem von Ihnen: nach den Dämmerseelen, und las dann alle 5 oder 6 Geschichten mit der größten Bewunderung. Dieser schwebende Ton und diese bezaubernde Leichtigkeit (nicht ohne Unheimlichkeit dabei) gehört wirklich nur Ihnen. Vielleicht ist dies, alles in allem, Ihr meisterhaftestes Buch; aber man soll keine Censuren austeilen. – Ich möchte Sie so gerne bald wiedersehen. B. Z. sagt mir, Sie fahren gerne Auto. Kann ich Sie nicht abholen, für einen halben Tag, – vor- oder nachmittag oder wie es Ihnen passt? Ich brauche nicht zu sagen, dass es mir die größte Freude machen würde. Rufen Sie vielleicht einmal zwischen 9h und 10h Rodaun N. 3 an?
Von Herzen Ihr Hugo.
    Bildrechte © University Library, Cambridge