Mein verehrter und lieber Freund,
Ihr Neujahrsgru
ss hat mich beschämt. Was ko
nnte ich
in
Wien besondres für Sie thun – die höchst
bescheidene Gastfreundschaft die ich Ihnen und Frau
Rung erweisen durfte,
von↓bedeutete↓ mir mindestens so viel Freude als Ihnen – und wie wenig war es in jedem
Fall im Verhältnis zu der tiefen Dankbarkeit und Liebe, die ich für Sie
empfinde. Und ich halte Sie immer zumindest geistig in meiner Nähe: kaum ein
Abend ist im Lauf des letzten oder der letzten Jahre vergangen, ohne da
ss ich
ein paar, und öfters recht viele Seiten von Ihnen gelesen. Und in Ihnen ist eine
so wunder
|bare Identität des Menschen und des
Schriftstellers, da
ss man immer
mit Ihnen ist,
we
nn man Sie liest.
Die »
Frau des Richters« war zuerst in der
Vossischen gedruckt – und eigentlich als
Einakter intendirt. Das Stück wollte mir nicht gelingen, so hab ich die Handlung
zu erzählen versucht. Mein Herz hängt
nicht an
dieser kleinen Geschichte. Viele Jahre aber hat mich ein fünfactiges Versdrama
»
Der Gang zum Weiher« begleitet, das schon
im Druck ist und das ich Ihnen hoffentlich bald schicken kann, ebenso wie eine
größere »
Traumnovelle« (die eben in
Fortsetzungen in der
Dame
erscheint –)
[.] |Und ganz besonders viel beschäftigt mich –
auch seit Jahren schon – allerlei aphoristisch–fragmentistisches, – worunter
vielleicht zwei Diagramme »
Der Geist im Wort« und
»der Geist in der That«, philosophische Spielereien nicht ohne tieferen
Sinn, Sie unterhalten werden.
Ich hoffe Sie sind so wohl und gesund als Ihre jungen und festen Schriftzüge
vermuthen lassen. Darf ich Sie bitten, der liebenswürdigen Frau
Gertrud Rung meine herzlichsten Gegengrüße zu bestellen?
Und an Sie, mein lieber und wahrhaft verehrter Freund, gehen meine innigsten
Wünsche
|Tag für Tag.
Auf Wiedersehen.
Ihr getreuer
Arthur Schnitzler