Arthur Schnitzler an Thomas Mann, 5. 1. 1925

Wien, 5. 1. 925

lieber und verehrter Herr Thomas Mann,

dass man auf das Geschenk eines solchen Buches, wie Sie es nun der Welt gegeben, auch nur mit einem Dankbrief erwidern kann, ist einigermaßen lächerlich. Es ist ein wunderbares und ein wundersames Werk, Ihr Zauberberg – von Kapitel zu Kapitel war ich tiefer und beglückender gefangen und umfangen, und mir war schwer ums Herz, als ich Ihren Castorp in sein blutig-unabänderliches Schicksal entlassen mußte. Aber auch wenn er nur in ein heitreres und hoffnungsvolleres entrückt worden wäre; – ich hätte um ihn geklagt, da Sie doch in keinem Fall weiter von ihm erzählen wollten. Innerhalb eines solchen unendlich reichen Complexes ein Element gesondert hervorheben wollen ist in jedem Fall ein zu kühnes, u außerdem überflüssiges Unterfangen: und doch drängt es mich zu sagen, dass in der Darstellung von Joachims Hinscheiden und Gestorbensein mir etwas einziges, unvergeßliches erreicht scheint. Sie haben den Humor des Sterbens und des Todes erfaßt und festgehalten – ich weiß nichts ähnliches in der deutschen Romanliteratur – auch in keiner anderen.
Manche Fragen erheben sich in der Lecture, aesthetischer, und politischer, und religiöser Natur; – ich wünschte sehr über manches einmal mit Ihnen reden zu dürfen. Hoffentlich ists mir einmal vergönnt. Zum Ende nur nochmals – Dank, Bewunderung und tiefste Sympathie!
Ihr
 Arthur Schnitzler