Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 7. 6. 1922

|Wien, 7. 6. 22
Mein lieber und verehrter Freund, daß ich nicht nach Kopenhagen gekommen bin, war niemandem aergerlicher als mir, aber niemand hatte weniger Schuld daran. Hören Sie wie es war: Ein sehr netter junger Mann aus Daenemark, Herr Axel Fraenckel, Literat, forderte mich im Namen eines »radicalen« Studentenbundes auf, in Kopenhagen zu lesen. Ich war mit Vergnügen bereit – ja ich spielte mit dem Gedanken gerade den 15 Mai in Kopenhagen und womöglich mit Ihnen zuzubringen. Ich erklärte, daß ich im Haag, (wo ich, wie in Amsterdam u Rotterdam aus meinen Werken vorlas) definitive  Nachrichten abwarten wolle u. zw. bis spaetestens 30. April. Ich war bis zum 8. Mai in Holland – es kam keine Zeile, – und ich selbst konnte mich nicht an den Studentenbund wenden – schon darum, weil mir weder der officielle Name, noch die Adresse noch der Name des Obmanns |bekannt war – so dacht ich man habe in Kopenhagen auf mein Kommen verzichtet, – fuhr nach Berlin, – wo mir – über Haag, – und Wien – (die kürzeste Verbindung) ein Telegramm nachgesandt wurde – von dem Studentenbund – ich möge meinen Ankunftstag melden. Nun aber hatt ich meine Dispositionen schon total geändert u. es war zu spät, wieder in den Norden zu reisen; – auch hatt ich einigermaßen die Lust verloren. So verbracht ich meinen Geburtstag – vollkommen allein – in Nürnberg und fuhr von da nach München und Wien. Entweder ist ein Brief in den Haag verloren gegangen oder die Herren vom Studentenbund haben die Angelegenheit etwas zu lax behandelt – aber ich hoffe, ein nächstes Mal – vielleicht im nächsten Frühling (freilich – schon »am nächsten Tag« ist ein kühnes Wort) – wird die Sache zu Stande kommen. |Morgen fahr ich nach Graz, wo ich zweimal vorlese – ein etwas ärmlicher Ersatz für Kopenhagen und Sie.
Und für Ihre lieben Worte, mein verehrter Georg Brandes, kann ich Ihnen nur schriftlich danken. (Haben Sie denn auch meinen Brief zu Ihrem soundsovielten Geburtstag bekommen?)
Anfang Juli bring ich meine Kinder an den Starnbergersee zu ihrer Mutter. (Mein Sohn, bald zwanzig, ist für die nächste Saison schon hier am Raimundtheater engagirt; er studirt auch Philosophie an der Universität, arbeitet auch theatergeschichtlich, macht Inszenierungspläne, zeichnet u malt Figurinen, treibt viel Musik; meine Tochter, bald dreizehn, geht ins Gymnasium.); meine Sommer|pläne sind noch etwas unsicher; – ich wünschte sehr, nach ziemlich unruhigen und verwirrten Zeiten, ins geordnete Arbeiten zu gelangen – und, insbesondre ein Stück zu vollenden, dessen letzter Akt an der daenischen Küste spielen soll. Ich baue dort ein köstliches Hotel hin wie ich es seinerzeit am Völser Weiher (im weiten Land) gethan – mögen mir die Gestalten auch so gelingen, wie das Hotel – es ist ersten Ranges.
Erhalten Sie mir Ihre Freundschaft und seien Sie von Herzen gegrüßt.
Von Ihren atheniensischen Abenteuern hatt ich hier schon in der Zeitung gelesen. Mein Garten steht voll Rosen; – bin ich auch kein griechischer Student – ich streue sie alle im Geiste auf Ihr theures Haupt!
In Treue
Ihr
Arthur Schnitzler
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