Robert Adam an Arthur Schnitzler, 1.–3. 11. 1920

|Wien, am 1. November
1920

Hochverehrter Herr Doktor!

Ich habe Ihr Schreiben mit größter Freude gelesen – und mit ebensogroßem Bedauern; mit Freude darüber, daß Sie die Güte hatten, mich zu einem so ehrenvollen und mir in jedem Sinne erstrebenswerten Amte in Vorschlag zu bringen; mit Bedauern – denn es ist mir nach dem derzeitigen Stande der österreichischen Gesetzgebung unmöglich, dem Rufe Folge zu leisten. § 578 der Zivilprozeßordnung lautet nämlich: »Richterliche Beamte dürfen, solange sie im richterlichen Dienste stehen, die Bestellung als Schiedsrichter nicht annehmen«, und dieses Verbot findet im § 595 Z. 3 seine Sanktion, wonach Schiedssprüche wirkungs|los sind, wenn hinsichtlich der Besetzung des Schiedsgerichtes eine gesetzliche Bestimmung verletzt wurde. Die Teilnahme eines noch aktiven Berufsrichters an dem fraglichen Schiedsgerichte ist also leider unmöglich.
Sie können sich leicht vorstellen, mit welch bitteren Gefühlen ich diese unbarmherzigen Paragraphen zitiere.
Ich werde in den nächsten Tagen im Ausschuß der Richtervereinigung anregen, daß unter die anläßlich der Besoldungsreform von den Richtern zu stellenden Forderungen auch die nach Streichung des § 578 ZPO – der jetzt vollkommen obsolet und der unnötige Ausdruck eines den Richtern gegenüber bei Schaffung des Gesetzes gehegten Mißtrauens ist – aufgenommen werde, und ich bin ziemlich sicher, mit meiner Anregung durchzudringen: ob aber die Streichung so bald erfolgen wird, daß für den Verein meine Person noch in Betracht kommen könnte, ist doch sehr zweifelhaft.
|Es bleibt mir demnach nichts übrig, als Ihnen, hochverehrter Herr Doktor, auf’s herzlichste zu danken und Sie zu bitten, meinen Dank den andern Herren der Genossenschaft zugleich mit der Versicherung zu übermitteln, daß nur die erwähnte Gesetzesbestimmung mich abhält, das Anerbieten anzunehmen.
Mit den besten Grüßen Ihr
sehr ergebener
DrRAdam.
Nachschrift vom 3. November:
Ich bitte wegen Verzögerung der Absendung des Briefes um Entschuldigung. Ich wollte vorher durch Nachfrage bei Kollegen mir Sicherheit verschaffen, ob meine Rechtsansicht wirklich die richtige sei und ob nicht etwa doch für mich eine Möglichkeit bestehe, Ihnen – wie ich gerne wünschte – andern Bescheid zu senden. Aber |das Gesetz steht starr und unbeugsam da.
Nochmals die besten Grüße und vielen Dank!
Ihr
DrRAdam
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