Hugo Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 31. 3. 1920

|Wien
31 III 20

mein lieber Arthur

ich fühle nach den Berichten u. allem was man so hört dass der Lustspielabend sehr gut gegangen ist, trotz mittelmäßiger Schauspielerei, und dass auch andere, Reprisen-abende sehr gut gegangen sind und dass überhaupt, wenigstens in diesem Betracht, eine gute Zeit für Sie ist, und ich freue mich darüber so herzlich als ich nur kann. Sie sind fast der einzige höhere Schriftsteller, der sich wirklich ein Publicum, was ja ganz etwas anderes |ist, als eine Gemeinde, zusammengebracht hat, und dies sowohl hier als in Deutschland – und hier insbesondere scheinen mir manchmal Ihre Arbeiten, wenn ich darüber nachdenke, wirklich die einzigen zu sein, durch deren Aufführung überhaupt ein höheres Theaterleben mit dem Character der Gegenwärtigkeit noch besteht.
Warum, nebst allem übrigen Unheil, auch die Schauspielkunst in Wien so herabkommen musste, dass ein Mensch wie ich kaum zweimal |im Jahr sich überwinden kann in eines dieser Theater hineinzugehen – das bleibt unerfindlich. Mit »ein Mensch wie ich« meine ich einen Menschen, der gern ins Theater geht, den ein guter Characterspieler interessiert, ein wirklicher Volkskomiker entzückt, ein leidliches Zusammenspiel fesselt, alles was nicht ganz platt u. plump u. übel provinciell ist, noch anzieht! Und wohin ist überhaupt das Wienerische an diesen Wiener Bühnen gekommen? Und wo ist irgend ein bestimmter Geschmack, |irgend eine Intention, irgend eine Richtung? Was ist das für eine grauenvolle Confusion, für ein Sammelsurium anstatt eines Repertoire! Dies alles ist freilich nur ein Detail in einer finstern Epoche – aber wie könnte man sich freuen, wenn man über dieser Scheinwelt nur einigermaßen mit Lust die wirkliche vergessen könnte.
In den »Casanova« gehe ich natürlich sobald meine rheumatischen Füße mich so weit tragen. Ich habe böse 9 Wochen hinter mir, dies ist das letzte residuum.
Von Herzen Ihr
Hugo
PS. Über Ostern sind wir in R.
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