|Wien, am
13. Februar 1920
Hochverehrter Herr Doktor!
Für Ihre »
Schwestern«, die mir ge
stern zukamen,
meinen be
sten Dank! Ich habe
sie
sofort gele
sen,
sehr begierig, Sie wieder, nach
langer Zeit, in Versen reden zu hören. Der Vers i
st mir, dem Mann der alten Schule,
doch immer das Berufsgewand des Dichters, nicht ein Salonanzug, und mir will
scheinen, daß man im Berufsgewand am freie
sten und förderlich
sten Arbeit lei
stet.
Ihre Ver
se fließen wundervoll und leihen Ihren Gedanken neuen Reiz, ohne ihnen die
charakteri
sti
schen Eigentümlichkeiten Ihrer Pro
sa zu nehmen. Ich sage dies, obwohl
ich den Blankvers, der nur der ein
silbigen
englischen oder noch der ver
schleifenden
italienischen Sprache angeme
ssen i
st, im Deut
schen
son
st herzlich
ha
sse (was ich Ihnen
schon ge
sagt habe); denn der deut
sche Blankvers, mei
|sterhaft gehandhabt, das i
st gemei
stert,
das i
st oft gebrochen, gezerrt, gepreßt, i
st ein unerträgliches Ge
schöpf, eine
endlo
se Melodie, ein
stätiges Meeresrau
schen. (Mir i
st dies jetzt wieder klar
geworden, da ich ein gerade er
schienenes Buch eines Vetters: »
Träume auf der Asphodelosinsel«, ein philo
sophi
sches
Tro
stbüchlein in Ver
sen von
Otto Fürth, le
se, ein
sehr klar und gei
stvoll ge
schriebenes Buch, de
ssen Blankvers blitz
und blank i
st und deshalb endlos wogt und flutet: was ja im konkreten Falle
vielleicht nicht übel i
st, da es zur Stärkung der Illu
sion, man
sei auf einer In
sel,
gewiß beiträgt. Der deut
sche Vers
par excellence scheint mir doch der Knittelvers zu
sein.)
Ich bewundere Ihre großartige Charakteri
sierung des
Casanova-Milieus; jede der Ge
stalten der Komödie i
st auf
Casanova abge
stellt, dazu
geboren, einmal mit ihm zu
sammenzutreffen, ohne das Abenteuer
Casanova nicht zu denken. Und dabei tragen
die mei
sten einen oder den andern Zug, den
Casanova gezeigt hat oder derein
st zeigen wird; wie
Gudar einmal etwas wie
Casanova |gewe
sen i
st, wird
Tito wohl
seinerzeit zu einem werden; und in
Santis sammeln
sich jene üblen Eigen
schaften, die der
alternde
Casanova in
geeigne Panne-Situationen hervorkehrt, zu
eigner einer
eigenen, aber gutmütig-
schäbigen Ge
stalt. Nur mit dem
Andrea bin ich, um aufrichtig zu
sein, nicht ganz einver
standen; ich hätte ihn um ein
gut Teil mehr
Bourgeois gewün
scht; daß er das Mädel, mit
dem er durchgeht, heiraten will, daß er nur einmal
spielt und daß er darob trotz
Gewinns Reue empfindet, macht dem Sohn ehrbarer Bürger alle Ehre; aber ich meine,
er
müßte die Dukaten noch mit viel
schwererem Herzen hergeben und nicht 1050,
sondern
sagen wir 950. Auch im
Problema-Streit i
st er mir zu
frei
sinnig, zu großzügig, zu amorali
sch; mag dies auch gewiß dem Zeitalter
ent
sprechen,
so entgeht doch,
scheint mir, dem Drama dadurch ein
scharfer Kontra
st.
Hingegen sind die zwei, nein drei
Casanova-Damen herrlich,
Flaminia wie
Anina und
Theresa. Daß die große Szene zwi
schen
Flaminia und
Anina im zweiten Akte bei der Aufführung etwas – für Morali
sch-Imprägnierte –
Bedenk
|liches haben dürfte, kann ich
nicht verkennen; zu fein ge
spielt dürften die beiden Damen zu viel von ihrer
Schwe
ster
schaft einbüßen, und eine Vergröberung aus der fein gedachten und geformten
Szene eine
sehr unangenehme jenes Neides machen, für den der
Wiener einen nicht wiederzugebenden Ausdruck hat. –
Daß ich mich nie mit etwas Gedrucktem revanchieren kann, betrübt mich tief. Aber die
Zeiten wollen daran nichts ändern. Ich
schreibe gar nichts und vertiefe mich, wenn
ich nicht an Akten arbeite, in die alten
Italiener und – das i
st meine letzte Leiden
schaft – Lateiner:
Vergil (den ich er
st jetzt auf's Höch
ste verehren lernte),
Plautus,
Valerius Flaccus,
Florus und andere. Ich habe
schon einen ganzen Stoß römi
scher Autoren zu
sammengekauft;
es i
st ein Lichtblick in
schwarzen Tagen, daß die Valutaentwertung auf das kla
ssi
sche
Altertum nur mit ungefähr 50 % rückwirkt. –