Für Ihre »
Schwestern«, die mir ge
stern zukamen,
meinen be
sten Dank! Ich habe
sie
sofort gele
sen,
sehr begierig, Sie wieder, nach
langer Zeit, in Versen reden zu hören. Der Vers i
st mir, dem Mann der alten
Schule, doch immer das Berufsgewand des Dichters, nicht ein Salonanzug, und mir
will
scheinen, daß man im Berufsgewand am freie
sten und förderlich
sten Arbeit
lei
stet. Ihre Ver
se fließen wundervoll und leihen Ihren Gedanken neuen Reiz,
ohne ihnen die charakteri
sti
schen Eigentümlichkeiten Ihrer Pro
sa zu nehmen. Ich
sage dies, obwohl ich den Blankvers, der nur der ein
silbigen
englischen oder noch der ver
schleifenden
italienischen Sprache
angeme
ssen i
st, im Deut
schen
son
st herzlich ha
sse (was ich Ihnen
schon ge
sagt
habe); denn der deut
sche Blankvers, mei
|sterhaft gehandhabt, das i
st
gemei
stert, das i
st oft gebrochen, gezerrt, gepreßt, i
st ein unerträgliches
Ge
schöpf, eine endlo
se Melodie, ein
stätiges Meeresrau
schen. (Mir i
st dies jetzt
wieder klar geworden, da ich ein gerade er
schienenes Buch eines Vetters: »
Träume auf der Asphodelosinsel«, ein
philo
sophi
sches Tro
stbüchlein in Ver
sen von
Otto Fürth, le
se, ein
sehr klar und gei
stvoll
ge
schriebenes Buch, de
ssen Blankvers blitz und blank i
st und deshalb endlos wogt
und flutet: was ja im konkreten Falle vielleicht nicht übel i
st, da es zur
Stärkung der Illu
sion, man
sei auf einer In
sel, gewiß beiträgt. Der deut
sche
Vers
par excellence scheint mir doch der Knittelvers zu
sein.)
Ich bewundere Ihre großartige Charakteri
sierung des
Casanova-Milieus; jede der Ge
stalten der Komödie i
st
auf
Casanova abge
stellt,
dazu geboren, einmal mit ihm zu
sammenzutreffen, ohne das Abenteuer
Casanova nicht zu denken.
Und dabei tragen die mei
sten einen oder den andern Zug, den
Casanova gezeigt hat oder derein
st
zeigen wird; wie
Gudar einmal etwas wie
Casanova |gewe
sen i
st, wird
Tito wohl
seinerzeit zu einem werden; und in
Santis sammeln
sich jene üblen Eigen
schaften, die der alternde
Casanova in
geeigne Panne-Situationen hervorkehrt, zu
eigner
einer eigenen, aber gutmütig-
schäbigen Ge
stalt. Nur mit dem
Andrea bin ich, um aufrichtig zu
sein, nicht
ganz einver
standen; ich hätte ihn um ein gut Teil mehr
Bourgeois gewün
scht; daß er das Mädel, mit dem er durchgeht, heiraten
will, daß er nur einmal
spielt und daß er darob trotz Gewinns Reue empfindet,
macht dem Sohn ehrbarer Bürger alle Ehre; aber ich meine, er müßte die Dukaten
noch mit viel
schwererem Herzen hergeben und nicht 1050,
sondern
sagen wir 950.
Auch im
Problema-Streit i
st er mir zu frei
sinnig, zu
großzügig, zu amorali
sch; mag dies auch gewiß dem Zeitalter ent
sprechen,
so
entgeht doch,
scheint mir, dem Drama dadurch ein
scharfer Kontra
st. Hingegen
sind die zwei, nein drei
Casanova-Damen herrlich,
Flaminia wie
Anina und
Theresa. Daß die große Szene zwi
schen
Flaminia und
Anina im zweiten Akte bei der Aufführung
etwas – für Morali
sch-Imprägnierte – Bedenk
|liches haben dürfte, kann ich nicht
verkennen; zu fein ge
spielt dürften die beiden Damen zu viel von ihrer
Schwe
ster
schaft einbüßen, und eine Vergröberung aus der fein gedachten und
geformten Szene eine
sehr unangenehme jenes Neides machen, für den der
Wiener einen nicht wiederzugebenden Ausdruck
hat. –
Daß ich mich nie mit etwas Gedrucktem revanchieren kann, betrübt mich tief. Aber
die Zeiten wollen daran nichts ändern. Ich
schreibe gar nichts und vertiefe
mich, wenn ich nicht an Akten arbeite, in die alten
Italiener und – das i
st meine letzte Leiden
schaft –
Lateiner:
Vergil (den ich er
st jetzt auf's Höch
ste
verehren lernte),
Plautus,
Valerius Flaccus,
Florus und andere. Ich habe
schon einen
ganzen Stoß römi
scher Autoren zu
sammengekauft; es i
st ein Lichtblick in
schwarzen Tagen, daß die Valutaentwertung auf das kla
ssi
sche Altertum nur mit
ungefähr 50 % rückwirkt. –