Sie haben mir durch die Zu
sendung von »
Casanovas Heimfahrt« eine große Freude bereitet, und ich
sage Ihnen herzlichen Dank. Wie
sehr
ich die
se
Novelle, die ich
zum er
stenmal während des Er
scheinens in der
Neuen
Rundschau las, als die wundervoll-wei
se und
süße Frucht einer
Erzählermei
ster
schaft
schätze, habe ich Ihnen bereits ge
sagt. Wenn ich mich
geneigt fühle,
sie allen Ihren früheren epi
schen Arbeiten voranzu
stellen, mag
mich vielleicht meine Vorliebe für den Helden, mit de
ssen Memoiren ich mich
längere Zeit be
schäftigt habe, beeinflu
ssen; aber daß hier alle Ge
stalten, nicht
nur der Held, ein eigenes Leben lebten,
sodaß es i
st, als
schüfe der Dichter
nicht, wie eine
laterna magica,
sondern als
beleuchtete er bloß, wie ein
scharfer Scheinwerfer
schon Exi
stierendes; daß jede
Geberde der handelnden Per
sonen, alles
|Lebende und Leblo
se, das
sie umgibt,
mit gewaltiger Pla
stik, die doch nie aufhört, das einfach
ste und
selb
stver
ständlich
ste Ding der Welt zu
scheinen, hinge
stellt und umri
ssen i
st;
daß auf allen der 181 Seiten des
Buchs kein Wort zuviel und daher unnütz zu
sein
scheint, was mir als
Merkzeichen einer kla
ssi
schen Arbeit gilt – das muß und wird jeder
Kun
stver
ständige, wenn er auch meine Spezialliebe zum Helden nicht teilt, aus
vollem Herzen bezeugen. Ich bin
schon außerordentlich auf Ihren jungen
Casanova in Spaa begierig, den wir wohl
schon läng
st kennen gelernt hätten, wenn die
politi
sche Umwälzung nicht gekommen wäre. Bis er er
scheint, will ich mir noch
einmal, und nun mit Muße und unabhängig von Fort
setzungen, den gealterten Sünder
vornehmen und an Ihrem Werke lernen, wie man klar und farbig und
spannend und
einfach und doch gei
streich erzählen kann: daß ich dies nicht kann und niemals
können werde, i
st etwas, was mich manchmal niederge
schlagen, immer aber vor dem,
der es kann, ehrfürchtig und be
scheiden
|macht. –
Die Bitte, die ich in meinem letzten Briefe an Sie
stellte – Sie möchten
sich
über das Ge
schick meiner zwei
Stücke gelegentlich erkundigen – i
st durch die
traurigen Ereigni
sse der letzten Woche gegen
standslos geworden; Sie werden
ein
sehen, daß mich wirklich das Pech verfolgt – ich glaube
sogar, daß das
Theater, das wirklich einmal eines meiner Stücke zur Aufführung bringen wollte,
zuminde
st am Tage der Er
staufführung in Flammen aufgehen oder Konkurs an
sagen
würde. Wenn ich al
so Trüb
sal bla
se – das einzige In
strument, für das meine
mu
sikali
sche Anlage zureicht –,
so i
st die
se Be
schäftigung nicht
so ganz
unberechtigt, zumal es, trotz mancher hüb
schen neuen Ge
setze, nicht viel
Erquickliches ringsum gibt, das aufheitern oder trö
sten könnte – die
Verhältni
sse haben es mit
sich gebracht, daß ich, der noch vor kurzem aus dem
Staatsdien
st mich weg
sehnte, um die mir noch etwa verbliebene Kraft frei
verwerten zu können, nunmehr, beim Anblick
so vieler
Belisare, froh
sein muß, ein fe
stes Amt zu bekleiden, und
nicht, wie
so mancher meines Alters, auf Stel
|lungs
suche gehen zu mü
ssen. Daß ich
aber in der hungernden und frierenden
Republik gerade
so wie im Kai
ser
staat Tag für Tag
über Preistreibereien zu Gericht
sitze, als wäre gar nichts ge
schehen, als
be
stünde noch der außerordentliche Kriegszu
stand, das kommt mir manchmal
so
grauenhaft vor wie das Weiterwach
sen der Haare einer Leiche, die verfault und
zerfällt. –
Nochmals be
sten Dank! Und die herzlichsten Grüße von Ihrem
ergebenen
DrRAdam