Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 3. 8. 1914

3. August 914.

mein sehr verehrter Freund,

ich erfahre hier, auf einem Umweg über Schweden, dass der literarische Nobelpreis dieses Jahr an Oesterreich fallen soll und daß, unter oder neben anderen, ich hiefür nicht unerheblich in Betracht kommen dürfte. Nun weiß ich aber, daß von Schweden aus vor Entscheidung der Angelegenheit bei gewissen officiellen Körperschaften des betreffenden Landes, so bei der Akademie der Wissenschaften und dem Unterrichtsministerium angefragt zu werden pflegt, wie sich diese zu dem |Vorschlag verhalten, und, wenn mich nicht alles trügt, – Eindrücke und Erfahrungen, – erfreu ich mich an diesen Stellen (was Sie vielleicht nicht einmal Wunder nehmen wird) keiner sonderlichen Sympathien; ja ich kann mir vorstellen, daß eine eventuell beabsichtigte Zuerkennung jenes Preises an mich gerade in meinem Vaterland bei manchen maßgebenden Factoren auf einen Widerspruch stieße, der nur durch das Wort eines Manns von höchster Bedeutung und weitestem Ruhm paralysirt werden könnte. In diesem Zusammenhang aber könnt’ ich kaum an jemand andern denken als an Sie, der mir schon ein Schätzer, ein |Freund gewesen ist zu einer Zeit, da ich von andern Kritikern und Kennern nicht oder kaum bemerkt wurde, und der seither, durch mehr als zwanzig Jahre meinen Weg nicht nur mit künstlerischer, sondern auch was ich sehr wohlthuend empfand, menschlicher Antheilnahme begleitet hat; und habe mich gefragt, ob Sie sich wohl bereit fänden, ein solches Wort für mich, – das sich im Ernstfall wahrscheinlich als sehr notwendig erweisen würde – an der entscheidenden Stelle auszusprechen? Ob Sie diese Anregung nun als eine nicht allzu bescheidne Bitte oder als den erlaubten Versuch auffassen wollen, mich Ihnen in einem geeigneten Moment einfach in Erinnerung zu bringen, |– was ich hier gesagt habe, gilt natürlich nur für den Fall daß Sie (was mir allerdings selbstverständlich scheint) von dem schwedischen Comité um Ihre Meinung gefragt werden sollten; – andern Falls betrachten Sie bitte diesen Brief hier nur insoweit als vorhanden, als er Ihnen wieder einmal den Ausdruck meines dankbaren Vertrauens, sowie einer Freundschaft übermittelt, die auch in Jahren, da man einander nicht begegnete, gleich herzlich weiterlebte.
Vielleicht mag ein solches Schreiben in so aufgewühlter Zeit, wo aus den bedenklichen Dünsten der Politik allmälig die erhabnen Wolkenbildun|gen der Weltgeschichte aufzusteigen beginnen, kaum der Beachtung werth erscheinen; aber, wir empfinden und erfahren es doch alle immer wieder, – auch in so bewegten Epochen fordert die Einzelexistenz von Tag zu Tag ihr Recht, – und wie diesmal üblergesinnte meinen könnten, – auch mehr als das. Sie aber, mein verehrter Freund, nehmen mir diesen Ruf, der hoffentlich nicht allzustörend in Ihre Sommerruhe dringt, keinesfalls übel, wo immer er Sie erreichen möge.
Wir befinden uns unter ziemlich sonderbaren Verhältnissen hier in Celerina; auch die Schweiz hat völligen Kriegszustand; wie die Dinge eben stehen, wäre es mir, mit Frau und Kindern, nur unter den ärgsten |Unbequemlichkeiten möglich, über die Grenze in die Heimat zu kommen, – und so bleiben wir denn vorläufig hier, in nicht geringer Unruhe; aber freuen uns doch der Wald-, Wiesen- und Himmelsruhe in diesem schönen Thal – das von dem Lärm der Welt nichts zu wissen scheint, trotz dreier grimmigen Soldaten, die im Wartesaal des Bahnhofs ihr Vaterland schützen und Karten spielen. –
Wollen Sie mir eine Zeile schreiben, so bitte ich doch jedenfalls an meine Wiener Wohnung (XVIII. Sternwartestraße 71) zu adressiren.
Mit den herzlichsten Grüßen, auch von meiner Frau
Ihr stets ergebner
 Arthur Schnitzler
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