Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 27. 2. 1913

|Dr. Arthur Schnitzler
Wien XVIII. Sternwartestrasse 71
27. 2. 1913

Lieber und verehrter Freund.

Ihr Bild ist aus Paris eingetroffen, es ist ausserordentlich gelungen, hat uns grosse Freude gemacht und wir sagen Ihnen herzlichen Dank dafür.
Im »Merker« habe ich eben Ihren höchst anregenden Artikel über Theater in Deutschland gelesen. Dass meine neue Komödie »Professor Bernhardi« Sie so lebhaft interessiert hat, ist mir sehr lieb. Es ist über dieses Stück gar viel herumgeredet und – nicht immer bonafide – herumgeschwätzt, und auch Sie, verehrter Freund, sind wie speziell aus einer Ihrer Bemerkungen hervorgeht, über die Entstehungsgeschichte meines Stückes nicht ganz richtig informiert worden. Die Komödie behandelt nicht eigentlich »ein Lebensschicksal, wie es mein Vater erfahren hat, der Inhalt ist vielmehr frei erfunden. Mein |Vater hat wohl seinerzeit, mit Freunden zusammen, ein Krankeninstitut in der Art des Elisabethinums gegründet, hat es gegen mancherlei Anfeindungen mit Aufgebot seiner ganzen Begabung und Tatkraft, natürlich nicht ohne die Mithilfe ausgezeichneter Arbeits- und Kampfgefährten, zu hoher Blüte gebracht und musste insbesondere gegen Schlus seines Lebens von mancher Seite Undank und Kränkung erfahren; – aber wenn sein Ausscheiden aus dem von ihm gegründeten Institut vielleicht auch Einem oder dem Andern nicht unangenehm gewesen wäre, er ist keineswegs »hinausintrigiert« worden, ja, ist sogar als Direktor des Instituts am 2. Mai 1893 gestorben. Uebrigens hat mein Titelheld, der »Professor Bernhardi«, von meinem Vater nur wenige Züge entliehen,und auch die anderen Figuren meines Stückes sind, mit der freilich unerlässlichen Benützung von Wirklichkeitszügen so frei gestaltet, dass nur Kunstfremde, an denen es natürlich |niemals mangelt, hier von einem Schlüsselstück reden könnten. Meine Komödie hat keine andere Wahrheit als die, dass sich die Handlung genau so, wie ich sie erfunden habe, zugetragen haben könnte, – zum mindesten in Wien zu Ende des vorigen Jahrhunderts.
Ich sende Ihnen diese Zeilen nach Kopenhagen, freilich ohne zu wissen, ob Sie jetzt schon zurück sind. Man schickt Ihnen den Brief wohl nach, sei es nach Paris oder anderswohin. Kommen Sie vielleicht über Wien, wenn Sie heimreisen? Oder wo sonst werden Sie im Frühjahr sein? Es wäre schön einander einmal im Süden zu begegnen.
Mit herzlichen Grüssen
Ihr
[handschriftlich:] ArthurSchnitzler
[maschinenschriftlich:] Herrn Georg Brandes, Kopenhagen.
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