Arthur Schnitzler an Albert Ehrenstein, 6. 5. 1911

|6. 5. 1911.

Sehr geehrter Herr Doktor.

Auch für mich war die Angelegenheit erledigt, woran mein letzter Brief an Sie einen Zweifel überhaupt nicht zuliess. Ich könnte die Sache auch weiterhin auf sich beruhen lassen, umso mehr als Sie selbst durch eine ganze Reihe von Wochen sich zu einer Entschuldigung nicht gedrängt fühlten; doch Ihr Schreiben vom 27., das ich von einer Reise heimkehrend vorfinde, veranlasst mich zu folgender Erklärung und Abfertigung:
Also: In jenem Gespräch zwischen Ihnen und mir war, wie von vielen Menschen und Dingen, im Anschluss an eine persönliche Erfahrung von Ihnen, die Sie glaubten mir erzählen zu müssen, auch von Herrn Stefan Grossmann die Rede und zwar von diesem mit dem aufrichtigsten Widerwillen sowohl Ihrer- als meinerseits. Dass er meine Gefühle für ihn kennt zweifle ich übrigens nicht; sollte es nicht der Fall sein, so habe ich jetzt jedenfalls den richtigen |Weg gewählt ihm diesen Umstand zur Kenntnis zu bringen. Ich zweifle auch nicht daran, dass er meine Gefühle erwidert. Niemals aber – ich wiederhole es – haben Sie mir gegenüber eine Aeusserung getan, die auch nur so hätte gedeutet werden können, als benütze Herr Grossmann seine Stellung zur Erreichung erotischer Vorteile bei Schauspielerinnen. Dass Sie dergleichen zu mir geäussert hätten ist eine Erinnerungstäuschung von Ihnen, die nun freilich im Laufe der Wochen, während deren diese ganze Angelegenheit auch für Sie erledigt schien, Zeit genug hatte, in Ihnen unausrottbare Wurzeln zu fassen; und es ist eine Erinnerungstäuschung noch gröberer Art, dass ich Ihnen den Inhalt einer solchen Aeusserung auch nur mit einer Silbe bestätigt hätte. Ich erkläre hier nochmals auf das Allerdezidierteste, dass ich von der Existenz eines solchen Gerüchtes erst aus dem Brief des Herrn Grossmann Kenntnis erhalten habe, in dem er mir die überraschende Mitteilung machte, dass Sie sich zu verschiedenen Leuten, unter denen er Herrn Kraus nannte, geäussert hätten, von mir sei Ih|nen jenes Gerücht bestätigt worden. (Da nun Herr Grossmann ausdrücklich Herrn Kraus als denjenigen nannte, vor dem Sie mich fälschlicherweise als Bestätiger eines Tratsches angegeben haben, so war es natürlich nicht zu vermeiden in einem Brief, der Sie deswegen zur Rede stellte, den Namen des von Herrn Grossmann geführten Zeugen zu nennen.
Ihr kniffiger Versuch mich irgendwie dafür verantwortlich zu machen, dass Herr Kraus in dieser Sache genannt werden musste, bedeutet am Ende nichts mehr als einen Strich mehr zu Ihrer Charakterphysiognomie, der nicht fehlen durfte.) Hätte ich vermuten können, dass Privatgespräche zwischen Ihnen und mir von Ihnen überhaupt weitergetragen werden, so hätte ich vielleicht, auch schon in früheren Fällen, den einen oder andern meiner Ausdrücke parlamentarischer gewählt; noch wahrscheinlicher ist freilich, dass ich auf das Vergnügen mich mit Ihnen zu unterhalten vollkommen verzichtet hätte. Dies eine aber steht fest, dass ich inhaltlich für alles, was ich sage, selbst wenn es |sich auf dem erbärmlichen Wege eines Klatsches weiterverbreitet, durchaus einzustehen in der Lage bin. Aber natürlich nur für das, was ich wirklich gesagt habe, nicht für das, was Misverstand, schlechtes Gedächtnis, Entstellung daraus zu machen belieben. Ich urteile stets nach eigenen Eindrücken und Erfahrungen; schon darum könnte es mir nie passieren irgend etwas nachzureden, was mir irgend ein Anderer hinterbracht hätte. Eine Bestätigung, wie Sie sie mir in den Mund legen wollen, könnte ich nie und nimmer ausgesprochen haben, schon weil nach meiner Kenntnis jedes Substrat dafür fehlte; und nicht der Dümmste oder Gemeinste meiner Widersacher wird mir jemals zumuten, dass ich über einen Menschen, so geringe Sympathie ich für ihn auch hegte, irgend etwas erfinden sollte, was von manchen Menschen ob mit Recht oder Unrecht als ehrenrührig angesehen werden könnte. Ihre Bemerkung, dass Sie meine Behauptungen geradeso wie die Ihren mit Bedauern zurückziehen, weise ich als völlig unangebracht zurück, und verbitte mir mit aller Ent|schiedenheit das, was Sie sich erlauben als Ihr Entgegenkommen zu bezeichnen; ebenso schüttle ich die Versicherung Ihrer Dankbarkeit von mir ab, auf die ich niemals irgend einen Anspruch erhoben habe. Nur aus Interesse für Ihr Talent habe ich die Manuscripte gelesen, die Sie mich baten mir vorlegen zu dürfen und habe versucht sie nach dem geringen Mass meines Einflusses schriftlich oder mündlich weiter zu empfehlen. Und wenn ich Ihnen die Empfehlung nicht zu geben vermochte, die Sie bei Ihrem letzten so reichhaltigen Besuche wünschten, eine Empfehlung für irgend ein Ministerium, so lag das nicht etwa daran, dass ich Sie für politische Dienste unfähig hielte, sondern nur daran, dass mir die Verbindungen nach jener Richtung leider nicht zu Gebote stehen. Auch zu Gesprächen mit Ihnen habe ich mir gerne Zeit genommen und mich oft genug an manchen Ihrer kuriosen und boshaften Wendungen ergötzt. Aber absolut keine Zeit habe ich dazu mich um die abenteuerlichen Schicksale jener Gespräche in Ihrem Kopf und daraus entstehende Fol|gen zu kümmern. Und absolut keine Lust verspür ich mich auch nur eine Minute länger mit einem widerwärtigen Klatsch zu beschäftigen, in den, meines Wissens zum ersten Mal in meinem Leben, mir durch Ihre, ausschliesslich Ihre Schuld, mein Name hineingezerrt wurde. In den Ekel, den ich dieser Tatsache gegenüber empfinde lassen Sie mich heute meinen endgiltigen Abschied von Ihnen den Ausdruck meines lebhaften Bedauerns hinzufügen, dass sich die Türe meiner Wohnung Ihnen jemals aufgetan hat.
Hochachtungsvoll
 Dr Arthur Schnitzler
Herrn Dr. Albert Ehrenstein, Wien.
    Bildrechte © The National Library of Israel, Jerusalem