Frank Wedekind an Arthur Schnitzler, 24. 12. 1909

|Sehr verehrter Herr Doctor!

Darf ich Sie aufrichtig und herzlich bitten, es nur nicht als Theilnahmslosigkeit auszulegen, daß wir nicht zu Ihnen kamen. Am Tage als wir zu spielen aufhörten, bekam meine Frau die Nachricht, daß unsere Kleine, die in Graz war, arg erkältet sei. |Meine Frau reiste Hals über Kopf ohne sich einen Augenblick Ruhe zu gönnen hin, um sie zu holen und als sie mit ihr nach Wien kam fand ich es für dringend geboten, ohne Aufenthalt nach Hause zurückzukehren. Am Dienstag hoffte ich Sie wenigstens allein noch aufsuchen zu können, aber auch dazu fehlte mir buchstäblich die Zeit. So muß ich Ihnen meinen herzlichen Dank für die liebenswürdige Aufmerksamkeit |die Sie für meine Arbeit übrig hatten, nun schriftlich aussprechen. Diese Gelegenheit kann ich aber nicht vorbeiziehen lassen ohne Ihnen zu sagen, daß ich Ihnen die reichsten, künstlerisch höchsten Genüsse verdanke, die uns die deutsche Sprache seit zwanzig Jahren bietet, und daß ich für viele Ihrer Werke die bedingungslose Verehrung fühle, die ich sonst nur für Vergangenes aufbringen kann. So weit ich weiß kennen wir uns seit bald zehn Jahren und haben uns in diesen zehn Jahren |zwei mal gesehen. Sie werden es mir daher nicht verdenken, daß ich die Gelegenheit wahrneme, Ihnen mein Herz auszuschütten. An mir soll es doch gewiß nicht liegen, daß wir uns nicht öfter begegnen.
Wollen Sie bitte Ihrer verehrten Frau Gemahlin meiner Frau und meine ergebensten Empfehlungen aussprechen.
Ihr ergebener
 FrankWedekind.
Heiliger Abend 1909.
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