Ein Epilog zur Generalprobe des
Stückes
»
Der Ruf des Lebens«.
Am Tage der Aufführung. Vier Uhr Nachmittags. Da es der
11. Dezember
ist, dämmert es bereits merklich. Der Vorhang ist hochgezogen. Die Bühne trägt die
Dekoration des
2. Aktes. Die
Figuren des Stückes, die noch vor kurzem, in der unmateriellen Wirklichkeit, die
ihnen die Worte ihres Schöpfers gaben, bewegt aufrecht standen – lehnen nun, in der
materiellen Unwirklichkeit, die ihnen gestern – bei der Generalprobe – die
Schauspieler gaben, etwas blass und müde an den Wänden umher. Nur »der alte Moser«
liegt von rechts nach links, die ganze Bühne überquerend, wie ein Schlagbaum am
Boden. Auf dem Fensterbrett scheint der Oberleib des Obersten zu stehen. Man kann
augenblicklich nicht erkennen, ob er einen Unterleib besitzt. Irene, die man befragen
könnte, liegt neben dem alten Moser auf dem Boden. Falls Max sie fragen sollte, wird
sie es verneinen.
Vorne, hart am Souffleurkasten, ist eine dünne, frisch gestrichene grüne Barriere
aufgestellt, wohl, um zu verhindern, dass die Person↓en↓ des
Stückes dem Publikum zu nahe gehen. Der Souffleurkasten scheint besetzt – nach der
Unruhe, die in ihm herrscht; (als sässe jemand darinn, dem er zu eng
ist).
Eine Pause.
Dann, eine ungeduldige Stimme aus dem Souffleurkasten:
|So fangen Sie doch an!
Marie: (mit etwas starren Augen, leise, und ein wenig verlegen) Verzeihen Sie, Herr
– – – ich weiss gar nicht, wie ich Sie nennen soll – –
Stimme↓Souffleur↓: Souffleur! Nennen Sie mich nur so. Für Sie bin ich es augenblicklich – was
ich sonst bin, kommt hier nicht in Betracht. Fangen Sie doch an!
Marie: Verzeihen Sie, Herr Souffleur – aber – – ich bin vielleicht nicht ganz
berechtigt, Sie das zu fragen – aber wieso sind wir da?
Katharina: Ja! Wieso sind wir da?
Der Oberst: Sie fragen nach den letzten Dingen – liebe Marie! Nach unserem
Dasein.
Max: (zu Albrecht leise) Der Oberst ist ein gar zu witziger Kopf!
Der Oberst: Die ewig Fragen nach den letzten Dingen,
für den letzten Akt, liebe Marie! Vorher, ist jede Tiefe, eine Grube, die sich der
Dichter gräbt.
Stimme↓Souffleur↓: (ärgerlich) Dann graben Sie doch nicht, Herr Oberst!
Marie: Aber ich habe ja
nur ganz unschuldig gefragt – – –
Die Oberstin (hebt den Kopf, sehr hart) ↓»↓Unschuldig↓«↓? Sie? (Sie lacht auf, und lässt den Kopf wieder
sinken.)
Katharina: Auch ich habe nur leichthin – – –
Die Oberstin: (wie vorhin) »Leichthin«? Das passt für
Sie. »Leichthin«.
Stimme↓Souffleur↓: (ärgerlich zur Oberstin) Fangen Sie nicht wieder an – –!
Unteroffizier Sebastian (sehr militärisch, aber mit eingefetteter Stimme): Melde
gehorsamst, wir sollen doch anfangen!
Stimme↓Souffleur↓: Reden Sie nichts drein – Sie – wie heissen s↓S↓ie, Unteroffizier, ich habe Ihren Namen vergessen.
|Sebastian: Melde gehorsamst, Herr
Soffleur, Sebastian!
Stimme↓Souffleur↓: Anfangen!
Der Arzt: Herr Souffleur, ich kann Fräulein Marie nicht Unrecht geben – – –
Oberst: Das haben wir gemerkt!
Der Arzt: – – es ist doch für uns alle – sozusagen – eine Lebensfrage, zu wissen,
wieso wir da sind?
Der Adjunkt / Max (gleichzeitig) Fräulein Marie hat Recht.
Stimme↓Souffleur↓: Gut, ich will versuchen – – –
Der Oberst: Der Dichter ist unser Schöpfer! Sie, mein Herr, sind der Versucher!
Stimme↓Souffleur↓: Graben Sie nicht, Herr Oberst! Ich will versuchen es Ihnen zu sagen. Geben
Sie Acht!
Der alte Moser (hebt den Kopf): Acht? Nein, neunundsiebzig Jahre bin ich alt – –
Der Arzt: Sie irren sich, Herr Moser, Sie sind jetzt gar nicht mehr alt; Sie sind
ganz jung tot.
Der alte Moser: Ich will nicht tot sein.
Der Arzt: Herr Moser! Ich bin Ihr Arzt – Sie müssen tot sein! Sie sind dazu
verpflichtet. Nicht nur sich selbst gegenüber – – –
↓Stimme: ↓Souffleur: Passen Sie auf, Sie
werden mich nicht verstehen! Wissen Sie, wie lange die kleinen Teilchen im
Resonnanzboden einer Violine nicht zur Ruhe kommen und noch
fortschwingen, wenn für unser Ohr der Bogenstrich, der sie erschütterte, längst
verklungen ist?
Albrecht: Wir reiten morgen in den Tod, Herr Souffleur – und Sie – prüfen uns
Physik?
|Souffleur: Es war nur eine
rhetorische Frage – – –
(Der Hintergrund wird durchsichtig; im hellen Sonnenlicht erblickt man ein Dorf,
lieblich an Hängen gelagert. Eine tiefsinnige Stimme sagt:
Rhetorisch! Ja!
Eine Frauenstimme (wiederholt in kurzen Atemstössen, ekstatisch): Rhetorisch! Ja,
das
ist er!
(Die Landschaft entschwindet.)
Arzt: War das Grünau, Herr Adjunkt?
Adjunkt: Nein, lieber Doktor: Grinzing!
Souffleur: Nun sehen Sie: Von allen Worten, die Sie gestern auf der Generalprobe
sprachen, schwingt noch die Luft; sie hallen noch von den Mauern und den gemalten
Leinenwänden wieder, und wer feine Ohren hat, kann sie hören.
Arzt: Aber Herr Souffleur, das würde ja nur erklären, wieso unsere Stimmen da sind;
aber woher nehmen Sie denn unsere Leiber?
Souffleur: Ich könnte sagen: »Von die zwei Gulden!« Aber Sie würden mich nicht
verstehen, und es würde, überdies, vielleicht mein Inkognito lüften.
Der alte Moser: (hebt den Kopf) Nicht lüften! Sind Sie toll, ich kann den Tod davon
haben. (er legt sich wieder hin).
Arzt: (energisch) Herr Moser, ich ordiniere Ihnen tot zu sein. Wenn Sie meine
Verordnungen nicht befolgen, stehe ich für nichts!
Souffleur: Ihre Leiber also, Herr Arzt? Nun denn: Wenn Sie einen Gegenstand, zum
Beispiel das Fensterkreuz dort – – –
Max: Hier ist keines, Herr Souffleur! Sonst bleibt der Herr Oberst beim
Hereinspringen hängen!
|Souffleur: Lassen Sie mich
ausreden!
Oberstin: (höhnisch) Wir – Sie? Haha!
Souffleur: Wenn Sie ein Fensterkreuz fest ins Auge fassen, und dann den Blick von
ihm
abwenden, so werden Sie – wenn Sie genau beobachten – noch einen Augenblick lang,
vor
sich in der Luft, das Bild des Fensterkreuzes sehen. Ich sage: »Das Bild«! Aber
wissen wir, ob es mehr oder weniger Bild ist, als das Fensterkreuz, das wir vorhin
sahen – nicht? – – Sagen Sie doch: »Jo«! – Von der Leiblichkeit, die gestern auf der
Probe Schauspieler den Worten des Dichters liehen, schweben die Formen noch
durcheinander in diesem Raum, und haben – eine Weile – eine Art von Leiblichkeit.
Sebastian: Herr Souffleur, melde gehorsamst, dass doch seither die gestrige
Abendvorstellung – ganz ausverkauft – hier war!
Souffleur: (nach einer Pause) Sie haben recht – aber ich fange an zu zweifeln, ob
Sie
wirklich »Sebastian« heissen!
Sebastian: Melde gehorsamst: So soll ich le – – (abbrechend zu Max) Fürchten Sie
nichts, Herr Leutnant – auch wir haben einander zugeschworen, auch wir sind
totgeweiht!
Oberst: Wie kommt es, Unteroffizier, dass ich gar niemanden vom Regiment
erblicke?
Oberstin: (höhnisch) Weil Du mit dem Rücken gegen den Kasernhof stehst!
Oberst: Aber es sollten doch Kürrassiere unseres Regimentes vorbeigehen und grüssen,
und ich sollte »Gute Nacht« wünschen – – – wo sind denn Alle – – Unteroffizier!
Sebastian: Melde gehorsamst: Das ganze Regiment ist nach Hause gefahren um Abschied
zu nehmen, und wir haben einander |zugeschworen, dass keiner zurückkommt. Wir sind Alle blaue Kürrassiere.
Katharina: (gerührt zu Sebastian) Geben Sie mir Ihre Hand, Sebastian
Sebastian: (gibt die Hand nicht)
Katharina: Abschied nehmen ist süss!
Sebastian: Melde gehorsamst, es kann auch eine Woche dauern!
Katharina: Ich dachte, Du seist ein lustiger Bursche?
Sebastian: Zu Befehl! Auch lustig bin ich, aber dann sag ich nicht »Abschied
nehmen«.
Marie: (kommt nach vorne, bückt sich zum Souffleurkasten) Ich danke Ihnen, Herr
Souffleur – jetzt versteh ich mein Dasein! (sie wendet sich und tritt der Oberstin
auf ihr Kleid)
Oberstin: (wütend) Jetzt treten Sie mir noch die Schleppe ab! Das ist zu viel! Sie – Sie – Hyäne des Schlachtfeldes!
Maria: (sanft) Was habe ich Ihnen getan, Frau Oberst?
Oberstin: Sie fragen noch? Mein Mann erschiesst mich, und an meiner Leiche hängen
Sie
sich an den Hals meines Geliebten?
Albrecht: (zu Max) Das sind Deine Zusammenhänge, Max!
Marie: Und mein Schicksal vergessen Sie? Ich habe mich ihm
hingegeben, und aus meinen Armen ist er gegangen, sich umbringen für eine Andere?
Was bin ich denn dann ich ihm gewesen?
Oberst: (hebt den Kopf wie ein altes Schlachtross, das bekannte Signale hört) Was
sind das für Töne?! Herr Leutnant!
Max: Zu Befehl, Herr Oberst!
Oberst: Ich komme um eine Kleinigkeit zu holen.
Max: Herr Oberst?
|Oberst: Meine Frau hat sich
gestern bei Ihnen vergessen!
Max: Herr Oberst scherzen.
Oberst: (stark) Sie
h a t
sich vergessen.
Sebastian: Melde gehorsamst, Herr Oberst, da liegt sie noch. (er will sie aufheben.)
Oberst: Lassen Sie! (zu Max) Ich will nicht, dass man
sie später bei Ihnen finde!
Marie: (will auf Max zueilen) Max!
Der alte Moser: (hält sie am Fuss fest) Geh nicht weg von mir, Marie! Ich hab dich
gequält; ich bin ein alter kranker Mann von neunundsiebzig Jahren! Vergib mir!
Marie: (sanft) Ich vergebe Dir!
Oberstin: (wild) Sie vergibt Ihnen, Sie vergibt Sie, sie vergibt in allen Fällen! Ein sanftes Mädchen, Ihre
Tochter! Und Sie, Herr Rittmeister, sollten sich auch schämen! Hören Sie auf mich
zu
zwicken! Sonst steh ich auf!
Oberst: Irene!? Welcher Rittmeister zwickt dich?
Max: Herr Oberst, wir sind beide vom Regiment der Geweihten.
Oberstin: Der Herr Moser!
Oberst: Woher weisst Du Irene, dass er Rittmeister ist?
Sebastian: Melde gehorsamst: Am Zwick, Herr Oberst!
Katharina: Stecken Sie mir die Locken auf, Sebastian.!
Sebastian: (fängt an, sie zu frisieren.)
Oberst: Herr Rittmeister, Sie werden diesen Mord (auf Irene weisend) auf sich nehmen
und sich morgen Früh standrechtlich erschiessen lassen. (bitter höhnend) Es wird
Ihnen nicht schwer fallen, Sie sind ja das Sterben gewöhnt!
Der alte Moser: Ich bin ein alter Mann von neunundsiebzig Jahren – –
|Oberst: Und erst Rittmeister?
Katharina: Noch diese Locke, Sebastian!
Oberst: Wo haben Sie gedient, Herr Rittmeister?
Der alte Moser: Wir sind alle blaue Kürrassiere!
Oberst: Oh, über die verschlungenen Schicksalswege! So sind Sie der Rittmeister
Moser, den ich erfunden habe?
Katharina: Noch eine Locke hier, Sebastian!
Sebastian: (eine Locke aufsteckend) Noch ein Dreh!
Oberst: Da wären Sie ja an allem Schuld, was uns heute trifft!
↓Rittmeister↓Der alte Moser: Wenn Sie mich aber erfunden haben!
Oberst: (bitter) Das hat Sie nicht gehindert wirklich zu sein.
Arzt: Jetzt erkennen wir es, Herr Moser! Sie sind an allem schuld! Und an Ihrem
eigenen Tod trifft Ihre arme Tochter kein Verschulden. Sie selbst haben sich
umgebracht. Wären Sie damals, anstatt feige davonzulaufen, den Heldentod gestorben
–
Sie hätten nie geheiratet, hätten nie eine Tochter (die Sie notgedrungen vergiften
musste) gehabt – und wären heute, – mit Ausnahme kleiner Altersbeschwerden frisch
und
gesund!
Sebastian: (eine neue Locke aufsteckend, sehr begeistert) Noch ein Dreh!
Oberstin: Um Ihretwillen, Sie alter Feigling, muss mein Mann↓x↓ sterben!
Oberst: Um Ihretwillen, Herr Rittmeister, ist ein ganzes Regiment totgeweiht!
Der Arzt: Sie sind an allem schuld, Herr Moser!
Der alte Moser: Jetzt ist’s zu viel und vor allem, Herr Doktor, sagen Sie nicht Herr
Moser, sondern Rittmeister zu mir. Mein Davonlaufen ist an
allem schuld? Ja, |dann ist mein
Vater daran schuld, weil er meine Mutter geheiratet hat, und so fort, bis auf Adam
und Eva! Muss ich alter Mann von neunundsiebzig Jahren Ihnen sagen, dass man sich
nicht auf Kausalitäten einlassen soll, weil sonst eine Konfusion herauskommt!
Souffleur: Es giebt keine Kausalitäten!
Der alte Moser: Lassen Sie mich ausreden!
Souffleur: Sie werden↓wären↓ der Erste, dem ich das gestattet hätte! Es
gibt keine Ursachen, und keine Wirkungen! Eine Wirkung ist eine Ursache, die noch
lebt, sonst könnte sie nicht mehr wirken!
Sebastian: (selig friesierend): Noch ein Dreh!
Der alte Moser: Das versteh’ ich nicht! Aber, zum Teufel, merken Sie denn nicht, dass
Sie Alle meinem Davonlaufen Ihr Leben verdanken? Glauben Sie, mein Heldentod hatte
den Dichter interessiert?
Sebastian: (jubilierend) Noch ein Dreh!
Oberst: Ihr Davonlaufen, ist doch überhaupt eine witzige Erfindung von mir! Ich kann darauf stolz sein,
dass Sie davongelaufen sind, aber doch nicht Sie.
Sebastian: (dem Wahnsinn nah) Noch ein Dreh!
Arzt: Nun, Herr Oberst, wenn Sie sich aber gar so viel einbilden auf das Elend, das
Sie mit Ihrer witzigen Erfindung angerichtet haben, so muss ich Ihnen schon sagen:
wir haben keinen Grund Ihnen dankbar zu sein.
Ertrinkende sind keine Menschen für ein Drama. Und in dem Stück sind fast alle am
Ersaufen. Katharina und der Herr Moser und die beiden Herrn Leutnants und Sie auch,
Herr Oberst. Für das, was einer tut, der weiss, dass er morgen |sterben soll, kann man ihn nicht
mehr zur Rechenschaft ziehen; das ist kein Lebender mehr. Der hat nicht mehr freien
Willen, den kommandiert nur seine Todesangst, und wo es nicht freien Willen gibt –
gibt es kein Drama!
Oberst: Schade, dass Ihre Weisheit so kurzen Atem hat, wie der Herr Moser. Es gab keines – aber es gibt eines: Sie selbst spielen ja darin!
Sebastian: (entrüstet) Den Dreh mach’ ich nicht mit!
Arzt: So werde ich Ihnen nach der Vorstellung sagen – – –
Oberst: Das können Sie nicht! Sie sind nur in der
Vorstellung!
Sebastian: (schreit) Aufhören!
Arzt: So werde ich Ihnen sagen, dass Tod und Leben Voraussetzungen sind – nicht
Stoffe. Tod und Leben sind unverantwortlich und stehen niemandem Rede; und dass einer
Dichter ist, heisst nur, dass er manchmal – nicht zu oft – nach ihnen fragen darf.
Fragen! Ohne Antwort zu bekommen! Und schön muss er fragen – sehr schön!
Oberst: Sie wollen mich wohl belehren, Herr Doktor? Schweigen Sie endlich!
Arzt: Herr Oberst haben Ihrem Regiment zu befehlen – nicht mir!
Oberst: Sie irren, mein Lieber! Auch Ihnen! Sie sind – wie ich selbst – von meinen Gnaden! (er springt ins Zimmer, die Maske fällt
ab – der Dichter steht da).
Sebastian: (wimmernd in die Knie sinkend) Kein Dreh mehr!
Keiner mehr! Wenn ich schon nicht mehr mit kann!
Dichter: (nach vorne kommend, zündet sich eine Virginia an, und sagt zum Souffleur,
in den Kasten hinunter, scharf): |Die letzte Rede des Arztes haben doch Sie
souffliert!
Souffleur: Ja mein Lieber – ebenso wie Ihre Reden!
Sebastian: (wimmert auf, der Arzt unterstützt ihn und fühlt ihm den Puls).
Dichter: Wieso? Ja so! Natürlich! Aber hören Sie auf, Sie sehen doch, der Mann stirbt
bereits an Ihren Drehs!
Souffleur: An meinen? Doch auch an Ihren!
Dichter: Ja, ja! Aber nach dem Nachtmahl ist mir das zu anstrengend. (Er will sich
auf die Barriere setzen).
Souffleur: (aufschreiend) Nicht auf die Barriere! Das ist keine, das ist der letzte
Akt: grün und stark gestrichen! Auf den wird sich die Kritik setzen!
Dichter: Keine Witze jetzt! Sagen Sie übrigens: Es ist ja sehr ehrenvoll für mich,
aber – haben Sie wirklich nichts anderes zu tun als sich meine Figuren herzunehmen,
und mit ihnen Schindluder zu treiben?
Fischer
würde sagen: »Ein ausgeruhter Kopp!« Bei Ihnen kann man sich ja nicht einmal
revanchieren. Bis zu Ihrer Generalprobe bin ich bestenfalls so alt wie der alte
Moser! Warum verschwenden Sie so viel Geist – –
Arzt: (um Sebastian bemüht) Ein Glas Wasser, bitte.
Dichter: (fortfahrend) – – da sehen Sie – so viel Geist an fertige Figuren, die ihn
wirklich nicht brauchen? Geben Sie Ihren davon – ich meine den noch unfertigen! Bei
einer Pentalogie kann man nie davon genug haben! Uebrigens, mir fällt ein: Sie
könnten eine Familienfideikomisstiftung aus der Pent
halogie machen. Immer der älteste Sohn hat daran zu schreiben, und wenn einer
Ihrer Nachkommen sie wirklich fertig macht, so wird
|er enterbt – weil er aus der Art
geschlagen ist! Wissen Sie:
wenn Sie schon das Stück
kritisieren wollen, gestalten Sie nicht an meinen Gestalten herum – sondern schreiben
Sie einen Essay für die »
Rundschau« – das wird
wenigstens klarer und deutlicher sein.
Souffleur: Deutlicher vielleicht – aber das war nicht meine Absicht!
Dichter: Hetzen Sie doch nicht den Satz zu Tode – er ist sehr gut!
Souffleur: Eigentlich, lieber Arthur, ist es recht unfreundlich von Ihnen, mir das
von der Pentalogie – wenn auch im Scherze – so vor allen den Leuten zu sagen! Sie
hätten mir das auch unter vier Augen sagen können – das wäre liebenswürdiger
gewesen.
Dichter: Liebenswürdiger vielleicht! Aber das war nicht meine Absicht!
Souffleur: Hetzen Sie doch den Satz nicht zu Tode! Er ist sehr gut!
Dichter: Uebrigens, das, was Sie den Arzt da sagen lassen, von der Kausalität – ist
recht couragiert von Ihnen. Sie spielen den Krieg in Feindesland! Sie – als Verteidiger der Kausalität! Wissen Sie, was Sie
sind??
Souffleur: Meiner Bescheiden↓heit↓, lieber Arthur, ist es wohl
zuzutrauen, dass ich weiss, was ich bin!
Dichter: Sie sind: »Grachi de
seditione quaerentes«! Bombenwerfer, die über Knallbonbons sich beklagen! Sie verlangen Kausalität in einem Drama! Ich krieg
ordentlich eine Wut, wenn ich mir das vorstelle! (er bricht erbittert ein Stück von
seiner Virginia, die nicht brennt, ab) Ausgerechnet Sie
machen mir Vorwürfe! |Sie, der Sie – – Sie – (wütend auflachend) Sie, Sie: »Es geschah« Sie!
Sebastian: (interessiert aufhorchend) Eschkenasi?? Von welchem Eschkenasi sind
Sie – –
Souffleur: (milde) Bestehen Sie noch immer darauf, dass Sie »Sesbas »Sebastian« heissen?
Sebastian: (hat sich aufgerichtet; respektlos, in herzlicher Gemütlichkeit,
fraternisierend) Sind Sie nicht bös, Herr Dichter – und Herr Eschkenasi – wir sind
Alle blaue Kürrassiere!
Der Vorhang fällt.