Ihr freundlicher Brief gab mir gerade jetzt einigen Tro
st. Mein
Geschichtsprofessor nämlich, mit einem
ewigen Bronchialkatarrh behaftet und daher außerordentlich
sekant, hat mir die
Ehre erwie
sen, mir meine
Dissertation zur gänzlichen Umarbeitung zurückzugeben. Hätte der gute
Mann bei die
ser
Abwei
sung imponierendes Sachver
ständnis dokumentiert,
so wäre dawider wohl
nichts einzuwenden gewe
sen. Aber das war nicht allzu
sehr der Fall. Eine
übergroße und malitiö
se Empfindlichkeit modernerem und zugreifenderem Ausdruck
und Satzbau gegenüber verführte ihn
sogar dazu, mir fa
st auf jeder Seite Mängel
stili
sti
scher Natur nachwei
sen zu wollen. Wozu er
stens der
Verfasser des langweiligsten
Napoleonbuches nicht das Recht
hatte, zweitens – und das i
st die komi
sche Seite der Affaire – habe ich einem
galizischen Kollegen, der nicht gut
Deut
sch kann,
seine Arbeit durchge
sehen und die gröb
sten Ver
stöße darin
korrigiert. Bei dem hat der
Hofrat merkwürdigerwei
se wenig Stilwidrigkeiten zu regi
strieren
gehabt. Warum? Weil ich dem
Polen den Tric
angeraten hatte, dem
Professor von vornherein weiszumachen, er werde
seine Di
ssertation
polnisch drucken la
ssen. Da begann des
Professors Eigenliebe und
Nationalgefühl zu funktionieren. Eine aus
seinem, einem Deut
schen Seminar
hervorgegangene Abhandlung
sollte anderswo, in einer slawi
schen Sprache
er
scheinen? Lieber veranlaßte er – was beab
sichtigt war – die Drucklegung des
Manu
skriptes in Deut
scher Sprache,
|hatte an dem von ihm empfohlenen
Werke (von dem er übrigens auch nicht viel ver
steht)
wenig zu bekritteln und prüfte den
Polen nicht,
sondern plau
schte mit ihm beim
Rigoro
sum. Unglücklicherwei
se kann ich nicht
magyarisch und daher nicht mit dem
magyarischen Er
scheinen meines
ungarische Verhältni
sse glo
ssierenden
Elaborates dienen.
Obgleich die Umarbeitung nur 3 Wochen in An
sspruch nahm, wurde ich, da es nur
3 Lehramtsprüfungstermine im Jahr gibt und ich einen durch die Nichtannahme
meiner Di
ssertation ver
säumen mußte, aus meiner Bahn geworfen, ich kann meinen
ur
sprünglichen Plan nicht ausführen, werde um ein halbes Jahr
später mit dem
lächerlichen Namen- und Zahlenkram fertig werden, und außerdem – ich hatte
schon
1908 keine Ferien – gibt es auch heuer keine Erholung für mich.
Im
Oktober wird meine
Abhandlung in ihrer neuen Form zen
siert. Mich noch
weiterhin von dem
Professor wie einen Schuldigen behandeln zu la
ssen, habe ich keine
Lu
st. Es i
st kaum ein Verbrechen, wenn man
sich einen bi
ssigen Hofrat mit einem
Stückchen Wur
st vom Leibe hält, eben
sowenig halte ich es für korrupt, im Regen
einen Schirm aufzu
spannen. Aus die
ser Weltan
schauung heraus muß ich es mit
Freude begrüßen, wenn Sie,
sehr geehrter Herr Doktor, die Liebenswürdigkeit
be
säßen, Herrn
Auernheimer gegenüber ein
paar Worte über mich fallen zu la
ssen. Ich möchte nämlich dann gern
Ende
Juli Herrn
Auernheimer eine Notiz
über die im Er
scheinen begriffene
Dissertation jenes
galizischen Kollegen |sowie meinen
Baber ein
senden. Kurze Kritiken über Belletri
stiker
ein
schicken, was mir
Auernheimer ge
stattete,
mag ich nicht; ich
sehne mich nicht danach, mich mit irgendwelchen Literaten
durch Tau
schhandel zu verfreunden, in meiner gegenwärtigen Stimmung würde ich
übrigens
selb
st den Herrgott zu diskreditieren ver
suchen, und das eine wie das
andere darf doch eigentlich nur einer, der durch eigene Schöpfungen öffentlich
einen gewi
ssen Befähigungsnachweis erbracht hat. Die Notiz über die von ihm
empfohlene
Dissertation
würde den Hi
storiker umgänglicher machen, der
Baber – den ich
son
st in aller Eile anderweitig unterzubringen das
gefährliche und bei meinem Mangel an Beziehungen auch aus
sichtslo
se Wagnis
unternehmen müßte – würde ihm imponieren, den
Geographieprofessor, der uns die
Memoiren die
ses
Regenten namhaft machte, freuen. Daher,
um
sozu
sagen als Re
spektsper
son wenig
stens Chikanen zu entgehen, wäre es mir
wirklich
sehr angenehm, wenn Herr
Auernheimer nicht (wie im
Feber)
sich aus
schließlich
darauf be
schränkte, in meinen Manu
skripten hin und wieder einen Bei
strich
anzubringen, was mich belu
stigte, oder ab und zu ein »Sehr
schön«
hinzu
schreiben, was mich ärgerte. Heute noch würde es mich freuen und mir in
vieler Beziehung helfen, wenn die
Presse oder
son
st ein Blatt mich lancierte, in ein bis zwei Jahren, wenn ich einen Po
sten
habe, wird es mir
sehr gleichgültig
sein, ob mein Name in einer Zeitung
steht,
oder ob ich ihn mit dem Spazier
stock auf einen in der Sonne zerrinnenden
Schneehaufen
schreibe.
|Die Ehre i
st
schließlich
schon jetzt nicht gar
so überwältigend. Und
später, wenn ich einmal
bekannt
sein werde – ich bin
schrecklich rach
süchtig – würden die Zeitungen
zunäch
st doch nichts anderes von mir bekommen als die von ihnen
selb
st
abgelehnten Sachen. Den Luxus, derartige Prinzipien
↓zu↓
be
sitzen zu glauben, kann ich mir ja jetzt noch getro
st ge
statten.