Hugo und Gerty von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 31. 10. 1908

|Rodaun d 31 X 08

Mein lieber Arthur,

wegen des Schreibers danke ich sehr aber ich möchte lieber ein Frauenzimmer von weiblichem Geschlecht. Um mir das nachzutragen, dürften Sie nicht der berüchtigte Erotiker sein!
Was den »Morgen« betrifft, so hänge ich mit diesem schönen Unternehmen ausschliesslich nur mehr durch einen Process zusammen, werde aber gern das nächste Mal bei Ihnen die Gedichte von Winterstein anschauen, vielleicht kann man sie an Blei für seine Zeitschrift schicken oder sonst wo hin. Drittens bitte ich Sie recht herzlich den eingelegten Brief mir zuliebe durchzusehen und wenn Sie keinen Grund dagegen haben demgemäss dieses Fräulein Braun vom Volkstheater, das sich auch schon direct an Sie gewandt hat, bei sich zu empfangen. Denn ich sage mir dass es einem so anständigen Menschen wie Dr. Camillo Müller, der mich ausserdem nur sehr oberflächlich kennt, gewiss schwer gefallen ist so ausführlich deswegen an mich zu schreiben und vielleicht hängt für die arme Person wirklich unberechenbar viel daran, dass man ihr hilft. Und es ist ja sehr möglich, dass sich Herr Weisse hier wieder einmal wie ein Schwein gegen jemanden benimmt etc.
Ich wurschtle mich weiter gegen das Ende meines vierten Aktes und bin
von Herzen Ihr
 Hugo.
Gruss von der Schreiberin.

|[handschriftlich Camillo Müller:] Wien, 29. Okt. 1908.

Sehr geehrter Herr!

Nehmen Sie es mir, bitte, nicht übel, wenn ich Sie mit einem Anliegen belästige, das Ihnen etwas sonderbar erscheinen mag.
Sie sind, soviel ich weiß, mit Hr. Dr Schnitzler befreundet, den ich leider persönlich nicht kenne. Wenigstens habe ich Sie seinerzeit in Gesellschaft des Hr. Schnitzler in St. Gilgen gesehen.
Nun soll demnächst im Deutschen Volkstheater Schnitzler’s »Liebelei« zur Aufführung ge|langen, sobald nur erst die Besetzung der Rolle der »Mizi Schlager« festgesetzt. Und hier ist der Punkt, wo ich Ihre gütige Intervention in Anspruch nehmen will.
Für diese Rolle war nämlich ursprünglich ein Frl. Thekla Braun in Aussicht genommen, die ersseit Beginn dieser Saison dem Volkstheater angehört. Frl. Braun war früher beim Opernballet, dann zwei Jahre in Graz als Schauspielerin – und hier eben sah sie Dir. Weisse in der Rolle der »Schlager Mizi« u. engagierte sie vom Fleck weg fürs Deutsche Volkstheater. Er versicherte sie, dass er die »Liebelei« fürs Volkstheater |mit Hilfe des Autors – das Stück gehörte dem Burgtheater – freimachen werde, denn er könne das Stück speziell in der Rolle der »Schlager« besser besetzen als Dir. Schlenther u. dgl. m. Da Frl. Braun, die ich seit 10 Jahren kenne – sie war damals ein 15jähriger Backfisch u. kam in die Tanzstunden zu Hassreiter, die ich alter Esel besuchte – auf meinen Rat das Engagement am Volkstheater angenommen hat, obwohl sie verlockendere Anträge anderer Wr Bühnen besaß, so bin ein bischen engagiert in dieser Sache u. möchte sie nun in ihrer Leidenbahn |– das war nämlich bis nun ihr Engagement – nicht ganz im Stiche lassen. Frl. Braun, die für erste Rollen mit einer Anfangsgage von 5000 K engagiert worden war, kam vorläufig zu keiner einzigen. Meist stand ihr Frau Glöckner im Wege. Nun würde sie immer wieder auf die »Liebelei« vertröstet, die ja noch in diesem Jahre erscheinen, und in der sie »sich machen werde.« Siehe da – die »Liebelei« kam, aber Frl. Braun soll die Rolle nicht spielen. Wer sie spielen wird, steht allerdings noch nicht fest, u. es scheint die Besetzung einige Schwierigkeiten |zu machen, sofern man der nageliegendsten, der mit Frl. Braun geflissentlich aus dem Wege geht. Frl. Braun hat daher an Hr. Dr Schnitzler die schriftliche Bitte gerichtet, ihr zu gestatten, dassie ihm die Rolle der der »Mizi Schlager« vorspreche, damit sich der Autor selbst, der gewiss das eminenteste Interesse an einer richtigen Besetzung hat, ein entsprechendes Urteil über die Fähigkeiten des Fräuleins bilden kann.
Ich möchte nun meinerseits an Sie, verehrter Herr, die ergebenste Bitte richten, das |Ansuchen des Frl. Braun bei Herrn Dr Schnitzler auf meine Empfehlung hin zu befürworten. Die Direktion hat ja dann noch immer freie Hand, und es ist wenigstens alles geschehen, um einem allfälligen Missgriff vorzubeugen u. auch ein starkes, strebssames Talent vor unverdienter Kränkung zu schützen.
Falls Sie dem Fräulein Braun gestatten wollten, Sie zu besuchen, so bitte ich um zeitige Bekanntgabe von Tag und Stunde, die Ihnen |genehm wären. Jedesfalls wiederhole ich aber meine Bitte um Befürwortung jenes Ersuchens, des Frl. Braun an Dr Schnitzler richtete. –
Und zum Schlusse bitte ich nochmals, mir diese langweilige, Sie wohl empflindlich störende Epistel zu verzeihen – ich komm gewiss kein zweitesmal!
In aufrichtiger Verehrung
Ihr
 Camillo Müller.
Bitte der gnädigen Frau meine Handküsse zu übermitteln! W. O.
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