Albert Ehrenstein an Arthur Schnitzler, 10. 10. 1908

|Wien, XVI. Ottakringerstr 114. 10. Oktober 1908.

Sehr geehrter Herr Doktor!

Verhindert durch Handarbeiten geographisch-geschichtlichen Charakters, noch mehr aber durch das Nochnichtvorhandensein eigener Artefakte, die mir als halbwegs annehmbare Legitimation für eine abermalige Belästigung hätten dienen können, kam ich im Januar nicht Ihrer mich erfreuenden Aufforderung nach, bei Ihnen sehr geehrter Herr Doktor, einmal vorzusprechen. Die Behelligung durch Studien hat nicht aufgehört, Zeitmangel also könnte manche der in den beiliegenden Skizzen zutagetretenden Flüchtigkeiten, das Fehlen intimerer Feilung erklären, |abgesehen von meinem Widerwillen dagegen, Kleinigkeiten selber an das gedulderschöpfende, zeitraubende Überschreiben vielleicht aussichtsloser Erzeugnisse zu schreiten. Leider sind die genannten Unterlassungen das Wenigste. Kein der Produktion gewidmeter Tag ist ohne hunderterlei teils ungewollte, teils mehr als beabsichtigte Störungen häuslicherseits dahingegangen. Der ruhige Fluß der Darstellungen, mit dem endlich beschenkt worden zu sein ich mich schon freute, bald gehemmt, unterbrochen machte einer mehr stoßweisen, abgerissenen Art der der Erzählung Platz. Notwendig sind die vorliegenden Darbietungen, sobald Schwung |und Stimmung von außen verscheucht worden, in einem dem Laster sozusagen jeden Augenblick freigebendem Stil geschrieben, was besonders bei der letzten Novellette ermüden muß, welche an sich Langeweile und Enttäuschung, einen an den Auslagen der Geschäfte und Leute entlang lebenden Menschen zu schildern unternimmt. Wenn ich mich trotz alledem erkühne, an Sie, sehr geehrter Herr Doktor, mit dem wenig gerechtfertigten Ansinnen heranzutreten, die übrigens teilweise untereinander in Konnex und Abfolge stehenden Werkchen (einzeln) zu beurteilen die Güte zu haben, |die möglicherweise wertvolle Titelnovelle, falls es irgend angeht, auf einmal lesen zu wollen – so bitte ich diese nicht anspruchsvollen Zumutungen nicht zu mißdeuten. Nichts liegt mir ferner als Prätention, nichts wünsche ich sosehr als Rat und Hilfe. In der Hoffnung, diesmal, wenn verdient, realerer Erfolge teilhaftig zu werden, verbleibe ichHochachtungsvoll ergebenst
Ihr Sie, sehr geehrter Herr Doktor, verehrender
Albert Ehrenstein.
    Bildrechte © University Library, Cambridge