Sehr geehrter Herr Doktor,
In Ihrem
Stück, das Sie die
Freundlichkeit hatten mich lesen zu lassen, gibt es viele wohlgelungene poetische
und
theatralische Momente und doch will am Ende kein Gefühl der wirklichen Befriedigung
aufkommen. Woran das liegen mag? Wie ich glaube, an einer gewissen Lockerheit in der
Behandlung der drei Hauptgestalten, denen allen nicht nur die schöne Inkonsequenz
der
Leidenschaft sondern auch jene andre zu Teil geworden ist, die durch eine gewisse
Willkür oder Unsicherheit des Autors verschuldet wird. Ich kann nicht glauben, dass
die Gräfin, die Sie schildern, trotz der Gefahren, die sie ahnt, die innere Kraft
aufbringen wird, ihre Rolle zu studieren, sich zur Vorstellung bereit zu halten und
tatsächlich aufzutreten. Und ich glaube noch weniger an die Grausamkeit ihres Grafen
im zweiten und an seine etwas salbaderische Güte im dritten Akt. Vielleicht könnte
ich an die Grausamkeit oder an
|die Güte glauben
b denn es bleibt ja Grausamke
it,
trotzdem oder wird sogar erst Grausamkeit weil der Graf schon im zweiten Akte weiss,
was er im dritten tun wird. Freilich weiss ich nicht zu sagen, welchen Ausgang ich
diesem dritten Akte wünschen würde. Gewiss nicht den tragischen, den Sie im Verlaufe
der Begebenheiten erwarten lassen schon mit der Absicht, dass diese Erwartung
getäuscht werde. Sie haben das innere Abrücken der Gräfin von dem Schauspieler an
einigen Stellen angedeutet, aber ich glaube nicht, dass dieses Abrücken durch die
paar neuen Lichter, die Sie dem Charakter des Paares aufsetzen, genügend motiviert
erscheint. So fehlt
’s grossenteils an der schönen
Allmählichkeit, welche mir ein Grundgesetz aller Kunstwerke zu sein scheint, denn
auch was als überraschend auf uns wirkt, ist im wirklichen Kunstwerk immer nur
scheinbar überraschend, irgendwo in den Tiefen unserer Seele haben wir gewusst, dass
es so kommen wird; sonst hätte es nicht so kommen können.
|Es ist schade, dass wir nicht mehr über das
Stück plaudern können, wie es
neulich zwischen Ihrem Fräulein
Schwester, meiner
Frau und mir geschehen ist. Es gäbe noch viel zu sagen. Natürlich auch sehr
viel Günstiges. Doch das Günstige ist, wenn einmal, wie bei Ihnen, ein so
beträchtliches Talentniveau angenomnen werden darf, allzu selbstverständlich. Doch
möchte ich nicht verschweigen, dass Sie in der Behandlung des Verses nicht überall
so
sorgfältig gewesen sind, wie man es gerade von Ihnen hätte erwarten dürfen. Im Ganzen
aber läuft die Sprache höchst gefällig. Und auch die ganze Atmosphäre der Komödie
hat
zuweilen einen ganz eigenen Reiz.
Und nun zur praktischen Seite der Frage. Meine Ansicht, dass dem
Stück bei einer event. Aufführung kein
beträchtlicher Erfolg beschieden sein dürfte, komnt nicht in Betracht und selbst wenn
Sie meine Meinung teilten, sollten Sie sich nicht abhalten lassen, alle die Wege zu
beschreiten, die man eben als Verfas
ser eines Stücks zu gehen
hat. Alle Erfahrungen müssen zum
|erstenmal gemacht
werden und besser mit einem noch nicht ganz gelungenen, als mit Ihrem nächsten,
wahrscheinlich bedeutenderen Stücke. Dazu kommt, dass man ja durchaus nicht
voraussehen kann, ob wir uns nicht irren und ob Sie nicht gerade mit dieser Komödie
reu
bssieren werden. Auch ist man ja nicht
verpflichtet, ausschliesslich Meisterwerke zu schreiben. (Und wenn man verpflichtet
wäre?) Also ich finde es nicht im Geringsten anstössig, selbst mit einem Stück
hervorzutreten, an das man selbst nicht ganz glaubt. Das Wesentliche ist nur,
legen↓dass↓ Sie selbst keinen allzugrossen Wert auf die innere Bedeutung Ihrer
Komödie legen und dass Sie
dessen äussere Schicksale nicht allzu ernstnehmen sollten – auch wenn es sie in der
Theaterwelt mit einem Schlage berühmt macht.
Ich hoffe bald wieder von Ihnen zu hören und grüsse Sie herzlich.
Ihr sehr
ergebener.,