Arthur Schnitzler an Georg Brandes, 13. 3. 1906

|Dr. Arthur Schnitzler 13. 3. 906

lieber und verehrter Herr Brandes,

Ihr Brief hat mir diesmal besonders wohlgethan. Auch mir ist der »Ruf des Lebens« werth, zum mindesten in seinen ersten zwei Akten; mit dem dritten habe ich viel Mühe gehabt, und er ist doch lange nicht das geworden, was ich wollte. Die Macht des »ersten Einfalls« ist zu gross; ich sehe ein, dass ich |mich in einem gewissen Augenblick von diesem ersten Einfall hätte befreien ssen und die Sache so dramatisch weiterführen, als ich sie begonnen. Es kam am Ende doch nicht darauf an zu sagen, dass man auch aus den furchtbarsten Schicksalen emportauchen kann, dass wir nur den Widerhall von Worten bringen u.s.w. –; – aber in Dramen erledigt ein alberner Dolchstich |oder ein Fenstersprung im Wahnsinn alle Dinge viel entscheidender als die tiefste und glatteste Weisheit. (Ich sage: tief und glatt; eben die tiefste bleibt ja glatt, wenn wir nicht unsern eignen Weg hin gegangen sind.) Aber was red ich da. Ich bin entfernt davon, Sie von Ihrer Sympathie für mein Stück abbringen zu wollen. Ich kann sie besser brauchen als je. Was Sie im Tag gelesen, war |gewiss nicht das unverständigste – und noch gewisser nicht das böseste, was man mir diesmal nachgesagt. Da es im 2. Akt knallt und da im 1. Akt vergiftet wird, hat man mich als Spekulanten bezeichnet, einen Kerl, der auf diese ordinär theatralische Art durch Tantiemen ein reicher Mann werden möchte. (Eine Spekulation, umso verächtlicher, als sie nicht geglückt ist, stand irgendwo zu |lesen.) Knallt es nicht – so heißen mich dieselben Leute einen »Novellisten« u.s.w. In Rußland scheint das Stück sehr gefallen zu haben. – Mir ist im phantastischen zuweilen sehr wohl, insbesondere wenn ich aus der dünneren Atmosphäre des ausschließlich psychologischen hinabgestiegen komme.
Ich hoffe sehr, Sie heuer noch zu sehn. Wenn alles gut geht, möcht ich nemlich im Sommer mit Frau und Kind an die dänische |ste. Dieser Sommer 96 bleibt für mich eine der mildesten, beruhigendsten Erinnerungen. So wohl wie in jenen Buchenwäldern war mir selten zu Muthe. Nun hat sich ja vieles in meiner Existenz gut und schön gestaltet, aber was ist alles in diesen zehn Jahren geschehn! Sie sagen, dass meine Arbeiten eine so große Spannweite haben, weil ein Theil dem Tod, der andere der Liebe gewidmet |sei. Kein Wunder. In dieser Spannweite hat nicht mehr und nicht weniger Platz als das Leben. Freilich ist mir sehr wohl bewußt, dass in dem, was ich bisher geschrieben, mehr von der Sehnsucht nach dem Leben, von einer sehr tiefen Ahnung und wohl auch von einem Begreifen des Lebens zu spüren ist, als vom Leben selbst. »Des Lebens Ruf . . .  ach, seine Fülle nicht!« (Suchen Sie nicht etwa, wo der Vers |steht, es ist ein geschwindeltes Citat.)
Leben Sie wohl und seien Sie herzlichst bedankt und gegrüßt
von Ihrem
 ArthSchnitzler
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