Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 15. 10. 1904

|Wien, 15. Oktober 1904.

Lieber Hugo!

Dass Sie Lindemann Ihre Stücke verweigerten, wundert mich, denn dazu liegt meiner Empfindung nach keine Ursache vor. Fischer schrieb mir vor Monaten, er wolle seinen Autoren das Ansinnen stellen, aus Ursache des bewussten Streitfalles zwischen ihm und L., resp. zwischen mir und L. in Betreff des »Einsamen Wegs«, dem L.schen Unternehmen ihre dramatischen Arbeiten bis auf Weiteres zu verweigern. Ich sprach mich mit Entschiedenheit dagegen aus, da mir jede Art von Solidarität ziemlich zuwider ist und ich besonders in dem vorliegenden Fall es auch von jedem andern Autor unrichtig gefunden hätte, aus einer rein privat-prozessualen Sache eine öffentliche Affäre zu machen und damit vielleicht andere Leute, die die ganze Geschichte nicht interessiert, materiell zu schädigen. Damit erledigt sich Ihre Frage von selbst, und ich bit|te Sie nur, ohne jede Rücksicht auf mich, auch bei Lindemann Ihre Stücke ganz nach Gutdünken zu placieren.
Aber sonst steht die Sache nicht so einfach, und Lindemann ist gewiss nicht so frei von Schuld, als es im Brief des Fräulein Dumont an Sie in allerbestem Glauben dargestellt wird.
Insbesondere handelt es sich ja darum, dass L. nach der matten Aufnahme des Stücks durch das Berliner Publikum weder von einer vorher, noch von einer nachher zu zahlenden Garantiesumme etwas wissen wollte, trotzdem vor der Aufführung – ich glaube, am Tage der Aufführung – ein Telegramm von ihm eingelaufen war, das sich mit den letzten Bedingungen Fischers einverstanden erklärte, – womit nicht nur nach allgemeinem Usus, sondern auch nach dem Urteil juridischer Sachverständiger, ein rechtsgiltiger Vertrag zustande gekommen war; und dass sich Fischer durchaus nicht hütet, die Angelegenheit auf dem Klageweg zu erledi|gen, /wie Frl. Dumont in ihrem Brief sagt/ ersehen Sie am besten aus den zwei Briefen, die ich Ihnen hier beilege und um deren Rücksendung ich Sie bitte, und aus denen sie erstens ersehen, dass Justizrat Jonas die Forderung der sofortigen Zahlung der 5000 M. für begründet hält, und zweitens dass Fischer nur meine Einwilligung abwartet, um den Prozess gegen Lindemann einzuleiten. Diese Einwilligung werde ich ihm natürlich nicht versagen.
Worin ich Fischer Unrecht gebe, ist eigentlich nur, dass er nicht gleich zu Beginn der Verhandlungen – lange vor Aufführung des Stücks in Berlin – den Lindemann’schen Antrag in seinem ganzen Umfang /5000 M. Garantie und Aufführung des Stücks in allen von L. angegebenen Städten/ angenommen hat, obwol ich ihm telegraphisch meine entschiedene Zustimmung kundgab, sondern dass er sich dann erst in Verhandlungen über einzelne Städte einliess, die von der Tournée ausgeschlossen sein sollten. Aber »unvornehm« kann ich das auch nicht finden.
|Was aber nun eine vorherige Zahlung der Garantiesumme anlangt, so würde ich zu dieser Forderung in einem ähnlichen Fall meinen Vertreter neuerdings autorisieren; denn gerade die in dem Brief des Frl. Dumont angeführten Daten beweisen, wie gering die finanzielle Sicherheit ist, die in einem Unternehmen in der Art des Lindemann’schen, selbst bei den besten Absichten und den reinsten künstlerischen Intentionen, den Autoren geboten werden kann.
Uebrigens hätte ja Lindemann sich mindestens zu einer teilweisen vorherigen Zahlung verstehen können; aber, ganz im Gegenteil, – und dies ist wol das Wichtigste bei der Betrachtung des ganzen Streitfalls –, nach der Berliner Première wollte er, trotz des vor der Première eingelangten vertragsgleichen Telegramms, weder von einer vorher, noch von einer nachher zu zahlenden Garantie, noch überhaupt von einer Aufführung des Stückes im Verlauf seiner Tournée etwas wissen.
|Bitte, lieber Hugo, grüssen Sie Frl. Dumont herzlich und teilen Sie ihr doch in Ihrer Antwort auch mit, was ich Ihnen gleich im Beginn dieses Briefs gesagt habe: dass es durchaus meinen Intentionen widersprach und widerspricht, wenn Fischer aus Anlass des bekannten Streitfalls dem neuen Unternehmen auch Stücke seiner anderen Autoren verweigert, dass mir im übrigen aber das Vorgehen Fischers in meiner Sache einwandfrei erscheint.
[handschriftlich:] Herzliche Grüße und auf baldigs Wiedersehen. Mit meinem »burlesken Abend« bei Rhardt ist’s nichts. Er will die Familienscene allein, die ich aber lieber für bessere Gelegenheit zurückbehalte. Über KakaduAbenteurer ist noch kein Telegramm eingelangt.
Ihr  A.
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