Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, [9. 3. 1904]

|Mittwoch

mein lieber Arthur

das Befinden meiner armen Mutter hat einen Punkt erreicht wo – ohne dass vielleicht eine acute Gefahr vorliegt, wenigstens weiß ich darüber nichts bestimmtes – die Combination von eingestellten Functionen der Gedärme, von unaufhörlichen Schmerzen und von einer kaum glaublichen Nerven|schwäche die zu fortwährenden Üblichkeiten führt – 12-15mal Brechanfälle im Tag – die Existenz buchstäblich unerträglich macht, nicht nur für sie, sondern auch für meinen armen Papa, den Mamas verzweifelte nervöse Angst buchstäblich nicht aus dem Zimmer lässt, mit Ausnahme der Bureaustunden.
Ich sage mir jetzt: es muss |etwas geschehen, es ist nicht möglich, so das Leben von 2 alternden Menschen hinzufristen, mit gelegentlichen Besuchen von Ärzten, und täglichem Besuch eines Hausarztes, der am Rand der Verzweiflung über das alles ist.
Nun denke ich, dass Sie vielleicht von Ihrem Bruder zum Teil über Mama orientiert sind, wenn aber auch nicht, bitte |besuchen Sie mit mir einmal meine Mutter auf eine Stunde, ich meine es nicht im ärztlichen Sinn, sondern mehr menschlich, psychisch, ihr thut schon absolut noth, dass ein neuer Mensch – (sie hat Sie sehr gern) zu ihr sympathisch und aufmunternd spricht, vielleicht können Sie ihr etwas rathen, nicht speciell, sondern allgemein ihr furchtbares Nervenbefinden betreffend.
Nicht wahr, Sie thun mir |das zulieb?
Sie machen alles lieber an Vormittagen ab, also wollen Sie Samstag gegen 11h oder 11½ in die Salesianergasse kommen?
Ich würde Sie dort erwarten. Nur wenn Sie nicht können und lieber Sonntag oder Montag wählen, brauchen Sie mir zu antworten, dann |aber telegraphisch, bitte.
Von Herzen Ihr
 Hugo
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