Freitag 19. Juni
Lieber Arthur,
bei dem völligen Mangel an Nachricht mu
ss ich denken, daß Sie fa
st den gleichen Tag,
wo wir abgerei
st
sind, angekommen
sein dürften.
Es
i
st nun fa
st ein Jahr her, daß wir zu
sammen gerei
st
sind und wenn man es
zu
sammenrechnet, wie oft wir, in dem dazwi
schenliegenden Jahr, uns ge
sehen haben,
so
wird wohl kaum
so viele Zeit herauskommen, als wir miteinander verbracht hätten, wenn
wir, ich in
Petersburg und Sie in
London, leben würden und wir uns auf 8 oder
10 Tage etwa in
Berlin rendez-vous gegeben hätten.
Und doch
sind wir weder
so reich an Freunden und wohlthuenden Menschen, noch
so
stumpf
sinnig überzeugt von der endlo
sen Dauer des Lebens, noch so begraben in dem
Reichthum un
serer Arbeit, daß wir auf das verzichten
|könnten – was vielleicht das
einzige Ge
schenk i
st womit un
ser Schick
sal uns für eine unfreundliche Gegenwart
ent
schädigen wollte: die Freude uns aneinander als Lebendige zu erfreuen.
Fa
st beneide ich diejenigen, die nach uns einmal in Ihren ausführlichen Tagebüchern
le
sen und wochenlang ganz darin leben werden – wie es mir jetzt mit dem prachtvollen
Briefwechsel Hebbels geht.
Wirklich hier geht es
so weit – ein ganz einziger Fall – daß uns das Alltagsge
sicht
einer Sti
mmung überliefert i
st, dann der Brief, der
sich
die
ser Sti
mmung nachmittags abringen ließ, und endlich
als
sie abends
sich von innen erleuchtete und erwärmte, das Gedicht, das aus ihr
ent
stand.
Über
Goethe i
st uns
so viel überliefert: aber an keinem Punkt
schließt
sich’s
so
zum Krei
se; Nirgends können wir ganz deutlich den Übergang aus dem Leben und Leiden
ins Ge
stalten gewahren. Die Jugend er
scheint uns traumhaft und befremdlich,
selb
st
wie ein Gedicht;
auf↓in↓ dem
späteren Alter ist Poe
sie und Reflexion freilich eins, aber auf Ko
sten
der er
steren. Was aber in dem, der die
stärk
sten Theile des
Faust schrieb, vorgegangen i
st, an den Tagen wo er
sie
schrieb,
wie
sich damals das Fühlen in Schaffen um
setzte, das würde ich lieber erfahren als
vieles andere, aber freilich
so erfahren wie mans bei
Hebbel erfährt, wo man’s
sieht, wie durch ein Glasfen
ster.
Wie aus diesem Brief zu entnehmen, regnet es. Aber ich wüßte gern etwas von Ihnen, bitte
Arthur, schreiben Sie mir.
Von Herzen Hugo.