Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 17. 7. 1900

mein lieber Hugo, wenn Sie diesen Brief bekommen, sind Sie schon wieder zurück von Ihrem kleinen Ausflug und haben hoffentlich alle Verdrossenheit verloren. Ich wüßte wirklich nicht, was ich jetzt ohne Arbeit beginnen würde. Komme ich durch äußere Umstände, unruhige Verhältnisse durch einige Tage nicht dazu, wenigstens ein paar kurze Stunden zu schreiben, so versinke ich in eine wahre Schwermuth. Hier bin ich nun im ganzen |gut dran. Ob viel dabei herauskommen wird, bei dem nämlich was ich jetzt schreibe, ist ja noch nicht sicher, aber das wesentliche liegt ja wo anders. Nachher gibts ja beinah nur Aerger, ob einem was gelungen ist oder nicht. Ich habe hier ein kleines Lustspiel neu geschrieben (dessen erste Fassung vor 2 Jahren in Tegernsee unter glücklichern Umständen entstand) und bin jetzt mit einer ziemlich sonderbaren Novelle beschäftigt, die mir viele Freude macht. Von dieser |hoff ich zuversichtlich, dassie auch Ihnen andern Freude machen wird. Meine große Novelle hab ich der N. Dtsch. Rundschau gegeben; sie ist nicht übel ausgefallen; bisher kennen sie Salten u Schwarzkopf, die beide sehr zufrieden scheinen. – Wie lange ich noch hier bleibe weiss ich nicht genau; in etwa 8–10 Tagen dürfte ich jedenfalls in Wien sein; aber über die erste Augusthälfte herrscht noch große Unklarheit. Mitte August soll eine Fußtour begonnen werden, die |ich in Altaussee mit Richard ausgeheckt habe. Paul Goldmann, Kerr, Oskar Meyer schließen sich vielleicht an. Am Ende auch Georg Hirschfeld (Elly dürfte wegen Kerr u Goldmann sehr dafür sein.) –
Ein paar Stunden täglich plaudere ich mit einer angehenden nicht hübschen Schauspielerin, die für ihre 18 Jahre von einer unglaublichen Klugheit ist. Sie wohnt hier mit ihrer Schwester, die ein 16jähriges keckes aber gescheidtes Judenmädl ist; stets |ist auch ein junges blondes Ding mit ihnen, die wahrscheinlich verrückt werden wird. Gestern hab ich mit denen allen in ihrem kleinen Garten genachtmahlt. Die Schauspielerin hatte Nachmittags die Madonna Dianora studirt; der kleinen Schwester hatte ein 20jähriger Verehrer »Gestern« aus Wien mitgebracht. Ich finde den Zufall hübsch, der es macht, dass Sie das gleich erfahren können; nichts beruhigt mehr über die Vielheit u Verwirrtheit des Lebens, als wenn man Fäden |irgendwo zusammen laufen sieht. –
Sonst hab ich hier noch Dr Redlich und seine Frau (die Königsbergerin) gesprochen; meine Mama u meine Schwester wohnen hier, Schwägerin u Familie in Edlach. Den Vormittg verbumml ich und verspazier’ ich; nur nach Tisch arbeite ich. – Wie denken Sie den Rest des Sommers zu verbringen? Es issehr wahrscheinlich, dss ich Anfangs August in Ischl sein werde; sollte man sich nicht |irgendwo, in Salzburg z. B. begegnen können? – Richard arbeitet. Als ich bei ihm war, befand sich seine Frau nicht sehr wohl, doch scheint es jetzt viel besser oder ganz gut zu gehn. Schreiben Sie mir recht bald wieder, ists kein Brief, ssei es eine Karte. Aber verlieren wir uns keineswegs, auch nicht auf Tage, ganz aus den Augen.
Ich hoffe Ihr Papa ist ganz gesund. Grüßen Sie ihn, Ihre Mama, und |die Familie Speyer mehr oder weniger.
Herzlichst der Ihrige
Arthur.
Benützen Sie nur meine Wiener Adresse, das ist am sichersten. Ich habe vergessen, dass ich Sie von der Schauspielerin sehr herzlich grüßen soll.
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