Arthur Schnitzler an Hugo von Hofmannsthal, 26. 11. 1895

|26. 11. 95.
Lieber Hugo, eben hab ich den Kaufmannssohn gelesen. Folgendes find ich: die Geschichte hat nichts von der Wärme und dem Glanz eines Märchens, wohl aber in wunderbarer Weise das fahle Licht des Traums, dessen räthselhafte wie verwischte Uebergänge und das eigene Gemisch von Deutlichkeit der geringen und Blässe der besondern Dinge, das eben dem Traum zukommt. Sobald ich mir die Erlebnisse des Kaufm.s. als Traum vorstelle, werden sie mir höchst ergreifend; denn es gibt solche Träume, sie sind eigentlich auch Schicksale, und man könnte verstehen, dassich Menschen, die von solchen Träumen geplagt |werden, aus Verzweiflung umbringen. Auch ist nicht zu vergessen: die Empfindungen des Kaufmannssohnes sind wie im Traum geschildert; die unsägliche Unheimlichkeit, die irgend ein Weg, ein Kindergesicht, eine Thür annehmen kann, wenn man sie träumt, finden kaum im wachen Leben ein Analogon. Ihre tiefere Bedeutung verliert die Geschichte durchaus nicht, wenn der Kaufmannssohn aus ihr erwacht statt an ihr zu sterben; ich würd ihn sogar mehr beklagen; denn das tödtliche fühlen wir besser mit als den Tod. – Ich will mit alldem |nicht sagen, dass mir nicht auch ein Märchen desselben Inhalts, ganz desselbenrecht wäre; aber Sie haben die Geschichte bestimmt als Traum erzählt; – erinnere ich mich jetzt zurück, ssehe ich den Kaufmannssohn im Bett stöhnend sich wälzen, und er thut mir sehr leid. –
Damit wäre auch alles zum Vorzug gewandelt, was sonst befremden müßte: eine seltsame Trockenheit, etwas hinschleichendes im Stil – was die Stimmung des Traums unvergleichlich malt, der Märchenwirklichkeit aber zum Nachtheil ist.
Viele herzliche Grüße. Es wird sich noch manches sagen lassen.
Ihr  Arthur
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