Felix Salten an Arthur Schnitzler, 15. 8. 1907

|Marienbad, 15. August 07
Lieber, wir sind jetzt bald eine Woche da. Otti braucht die Kur. Kreuzbrunnen und Ferdinandsquelle, Moorbäder und Kohlensäure; sie befindet sich dabei sehr wol, und ihre Genesung macht sichtlich Fortschritte. Ich habe auch mit einer Kur begonnen, aber nur einen Tag ausgehalten. Um 5Uhr aufstehen und um neun erst frühstücken könnte ich nur dann vertragen, wenn ich von hier aus erst noch auf vier Wochen anderswohin zu Erholung ginge. Da ich mich aber ausruhen muss, hat es keinen Sinn, wenn ich mich jetzt quäle, und dann vielleicht noch matter und noch nervöser nach Wien zurückkomme. Den Kindern tut Mbd. unglaublich gut. Sie essen hier, dass wir eine Freude haben. Und sie lernen endlich weite Spaziergänge machen, was man an der See weniger übt, und wozu sie – durch unseren Garten – in Wien nie gelangt sind. Hier sind die Wälder herrlich, und die vielen Jausenorte, die überall auf den kleinen Berggipfeln und Hochplateaus liegen, sind wirklich famos. Wir wohnen ganz ausserhalb von Marienbad in einer Straße, die nur auf der einen Seite Häuser, auf der anderen den Wald hat, zahlen für zwei hübsche Zimmer 25fl die Woche, was sehr billig ist, haben das Mittagessen – und was für ein Mittagessen! – für 60 Kreuzer die Person auf dem Zimmer. Das Frühstück macht das Fräulein, gejaust wird irgendwo auf einem Berg. (Rübezahl,Forstwarte, Nimrod, Egerländer u. s. w.) Und Nachtmahl holt man sich in der Delikatessenhandlung, die hier alle Begriffe, die man sich in einer Delikatessenhandlung macht hoch übertrifft. Ich verstehe, warum Elias von Marienbad so begeistert |ist. Die Tennisplätze sind die schönsten, die ich kenne. Man spielt eine halbe Stunde nach dem Regen. Wir haben eine ganz gute Partie, ein taubstummes junges Mädchen, die sehr nett ist und sehr scharf spielt. Morgen früh kommt Siegfried Jacobsohn hier an, von den Kindern Onkel Japottsohn genannt. Er bleibt bis Mittwoch und geht dann nach Wien. Hier sind natürlich eine Menge Menschen, denen man nicht immer ausweichen kann. Wir waren denn auch die ersten Tage in einem Gebrodel von Berliner, Lemberger, Wiener, Münchener und Mannheimer Leuten, von Wagenfahrten, Automobilpartien, u. s. w. Aber wir haben schnell gebremst und leben jetzt ruhig. Wenn Otti nicht früh und Abend zum Brunnen müßte, würden wir noch weniger Verkehr haben. Die Kinder trinken Ambrosiusquelle (Eisen), was immer ein großer Spass ist. Dann fahren sie Eselwagen, und da sie jetzt nacheinander Geburtstag feiern, ist ihr Jubel groß. Annerl hat fabelhafte Erfolge, während die tieferen Naturen Pauli schätzen. Neulich haben die Kinder im Wald Theater gespielt und Rothkäppchen aufgeführt. Sie waren förmlich betrunken davon, dass da ein wirklicher Wald war, und man kann sagen, dass es auch sonst eine vortreffliche Aufführung gewesen ist. – Wir haben manchmal auch schon Schlenther gesehen. Er sieht aus, als ob er heimliche Balggeschwülste und Drüsen hätte.
Hier arbeite ich nur Kleinigkeiten, die von der Redaction verlangt werden, sonst nichts. Ich habe in Wien allerlei gemacht. Darunter die drei kleinen Stücke, die nun in Maschinschrift vorliegen. Wenn ich sie im Herbst noch erträglich finde, les’ ich sie vielleicht |vor. Im September schreibe ich den »Hund v. Florenz«. Er ist jetzt ganz fertig dazu und vielfach verändert. Könnte ich die Zeitung los sein, wäre ich froh und vermöchte vielleicht einiges Gute zustande zu bringen. Mir wird die Zeitungschreiberei immer leerer und leerer. Bin ich wirklich im September mit dem »Hund« fertig, dann mache ich die Seereise. Der Gardasee genügt mir davor wirklich nicht. Im Übrigen wissen Sie ja, wie es mit meinen Plänen geht. Von zwanzig projektirten Reisen werden zwei verwirklicht. Am 1. Septbr. bin ich jedenfalls in Wien. Vorher zwei, drei, Tage Semmering oder Schneeberg.
Auf Wiedersehen, und viele herzliche Grüße von uns zu Ihnen. Schreiben Sie mir bald wieder.
Aufrichtig
Ihr
 Salten
Hier das Feuill. aus dem »Morgen« das Sie wünschten. Die »engl. Reise« suche ich selbst schon seit Monaten vergebens. Sonst hätten Sie sie schon. Pötzl habe ich nicht zur Hand.
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