Lieber, eben, da ich mich hinsetzen will, um Ihnen zu schreiben,
kommt Ihre zweite Depesche. Ich bin nun einigermaßen in Verlegenheit. Denn wie leicht
kann
Brahm meinen unverlangten Rath ablehnen; kann ihn, was mir noch weniger lieb wäre, missdeuten, und als die
Sucht, »dreinzureden« auffassen. Ganz abgesehen davon, dass ich ja garnicht weiss,
ob
Brahm auf mein Urteil auch nur das Mindeste
gibt. Und ausserdem habe ich, als wir nach der
Vorstellung beisammen waren, zu merken geglaubt, dass
Brahm (vielleicht aus Theaterpolitik)
Reichers Julian über
den von
Rittner zu stellen geneigt ist. Ich
kann mich ja darin irren. Jedenfalls erleichtert es die Situation nicht, denn ich
habe
Rittner in dieser Rolle nicht gesehen.
Wie immer er aber auch gewesen sein mag, er war sicherlich besser als
Reicher. Einfach aus dem Grund, weil es
unmöglich ist, schlechter zu sein als Herr
Reicher war. (Dieser Satz könnte von
Goldmann sein; ist aber gleichwol richtig) Um Rittner ist doch stets ein
Hauch von der Fülle der Erlebnisse. Auch ein leiser Hauch von Einsamkeit ist jetzt
mehr und mehr um ihn.
Rittner ist doch auf
eine glaubhafte Art von Verliebtheit umgeben, von allerlei Karessen, und das Parfum
vieler Frauen haftet gleichsam in seinen Kleidern. Wenn nun alle diese Dinge welk
und
herbstlich werden, dann haben sie, wie es der
Julian braucht
, jene Melancholie,
deren besondere Schattierung eben ein Goldton ist, ein verblaßender, vormals aber
–
das sieht man noch genau – üppiger und leuchtender Goldton. Von solchen
|Dingen ist bei
Reicher nichts zu spüren. Er ist ganz und gar bürgerlich. Hat
leider den Moment versäumt, Kinder zu zeugen, mit denen er jetzt Schabbes machen oder den Seder-Abend halten könnte. Mir wäre, wie ich
gewiss nicht erst zu sagen brauche, auch der jüdische
Julian recht, wenn es nur eben ein
Julian wäre: etwa
Adalbert Goldschmidt, der ja den jüdischen und zugleich einen
Daudet’schen Einschlag hat. Allein
Reicher ist trocken, und erscheint höchstens
als verkrachter Familienvater. – – –
Gestern wurde ich durch Besuche (die Leute machen hier
unaufhörlich Besuche) unterbrochen. Abends taf ich zufällig
Rittner. Er ist nicht abgeneigt, den
Julian in
Wien zu
spielen. Oder genauer: »im Prinzip nicht dagegen
«. Als ich ihm sagte,
Sie hätten keineswegs darauf bestanden, dass er den
Forstadjunkten gibt, und hätten
ihm sein Versagen auch nicht übelgenommen, war er erfreut. Er meint nur, es wird für
Brahm schwer sein,
Reicher die Rolle abzunehmen, und die für
Rittner nötigen Proben abzuhalten. Außerdem wird
Brahm es nicht gerne sehen, wenn
Rittner über seine Garantie kommt. Die beträgt
für
Wien 12 Abende, welche mit »
Elga« gedeckt scheinen. Ist er im »
Einsamen Weg« tätig, muß dann
Brahm das Plus zahlen, was er – wie Sie wissen – überhaupt,
und im Fall
Rittner erst recht lieber
vermeidet.
Was soll ich, nach Ihrer Meinung, tun? Dass ich mit Vergnügen zu allem bereit bin,
brauche ich nicht erst zu sagen. Erwägen Sie, was ich Ihnen wegen mir u.
Brahm sagte, und denken Sie nach, wie man es
machen könnte, dass ich bei
Brahm nicht eine
Unannehmlichkeit erfahre. Soll ich vielleicht
Elias zu ihm schicken? Das will ich auf alle Fälle gleich tun.
Eben kommt wieder Besuch. (Die Leute machen hier unaufhörlich Besuche) Ich will aber,
dass der Brief heute abgeht. Also viele herzlichste
Grüße von
uns an Sie
Beide.
Ihr
Salten