Felix Salten an Arthur Schnitzler, 22.–23. 4. 1906

|Berlin, 22. IV. 06
Lieber, eben, da ich mich hinsetzen will, um Ihnen zu schreiben, kommt Ihre zweite Depesche. Ich bin nun einigermaßen in Verlegenheit. Denn wie leicht kann Brahm meinen unverlangten Rath ablehnen; kann ihn, was mir noch weniger lieb wäre, missdeuten, und als die Sucht, »dreinzureden« auffassen. Ganz abgesehen davon, dass ich ja garnicht weiss, ob Brahm auf mein Urteil auch nur das Mindeste gibt. Und ausserdem habe ich, als wir nach der Vorstellung beisammen waren, zu merken geglaubt, dass Brahm (vielleicht aus Theaterpolitik) Reichers Julian über den von Rittner zu stellen geneigt ist. Ich kann mich ja darin irren. Jedenfalls erleichtert es die Situation nicht, denn ich habe Rittner in dieser Rolle nicht gesehen. Wie immer er aber auch gewesen sein mag, er war sicherlich besser als Reicher. Einfach aus dem Grund, weil es unmöglich ist, schlechter zu sein als Herr Reicher war. (Dieser Satz könnte von Goldmann sein; ist aber gleichwol richtig) Um Rittner ist doch stets ein Hauch von der Fülle der Erlebnisse. Auch ein leiser Hauch von Einsamkeit ist jetzt mehr und mehr um ihn. Rittner ist doch auf eine glaubhafte Art von Verliebtheit umgeben, von allerlei Karessen, und das Parfum vieler Frauen haftet gleichsam in seinen Kleidern. Wenn nun alle diese Dinge welk und herbstlich werden, dann haben Sie, wie es der Julian braucht, jene Melancholie, deren besondere Schattierung eben ein Goldton ist, ein verblaßender, vormals aber – das sieht man noch genau – üppiger und leuchtender Goldton. Von solchen |Dingen ist bei Reicher nichts zu spüren. Er ist ganz und gar bürgerlich. Hat leider den Moment versäumt, Kinder zu zeugen, mit denen er jetzt Schabbes machen oder den Seder-Abend halten könnte. Mir wäre, wie ich gewiss nicht erst zu sagen brauche, auch der jüdische Julian recht, wenn es nur eben ein Julian wäre: etwa Adalbert Goldschmidt, der ja den jüdischen und zugleich einen Daudet’schen Einschlag hat. Allein Reicher ist trocken, und erscheint höchstens als verkrachter Familienvater. – – –
Montag.
Gestern wurde ich durch Besuche (die Leute machen hier unaufhörlich Besuche) unterbrochen. Abends taf ich zufällig Rittner. Er ist nicht abgeneigt, den Julian in Wien zu spielen. Oder genauer: »im Prinzip nicht dagegen«. Als ich ihm sagte, Sie hätten keineswegs darauf bestanden, dass er den Forstadjunkten gibt, und hätten ihm sein Versagen auch nicht übelgenommen, war er erfreut. Er meint nur, es wird für Brahm schwer sein, Reicher die Rolle abzunehmen, und die für Rittner nötigen Proben abzuhalten. Außerdem wird Brahm es nicht gerne sehen, wenn Rittner über seine Garantie kommt. Die betragt für Wien 12 Abende, welche mit »Elga« gedeckt scheinen. Ist er im »Einsamen Weg« tätig, muß dann Brahm das Plus zahlen, was er – wie Sie wissen – überhaupt, und im Fall Rittner erst recht lieber vermeidet.
Was soll ich, nach Ihrer Meinung, tun? Dass ich mit Vergnügen zu allem bereit bin, brauche ich nicht erst zu sagen. Erwägen Sie, was ich Ihnen wegen mir u. Brahm sagte, und denken Sie nach, wie man es machen könnte, dass ich bei Brahm nicht eine Unannehmlichkeit erfahre. Soll ich vielleicht Elias zu ihm schicken? Das will ich auf alle Fälle gleich tun.
Eben kommt wieder Besuch. (Die Leute machen hier unaufhörlich Besuche) Ich will aber, dass der Brief heute abgeht.
Also viele herzlichste Grüße von uns an Sie Beide.
Ihr
Salten
NB. Jacobsohn tobt ja auch gegen Reicher!
    Bildrechte © University Library, Cambridge