Paul Goldmann an Arthur Schnitzler, 1. 12. 1900

Berlin, 1. Dezember.

Mein lieber Freund,

Es ist leider doch nicht gegangen. Ich muß hier bleiben und kann Dich heut Abend nur mit allen guten Wünschen begleiten. Wenn Du diesen Brief erhältst, bist Du hoffentlich wieder um einen Erfolg reicher.
Beifolgenden Artikel, der Deinen Freund Hoffmannsthal betrifft, finde ich heut in der |»Frankfurter Zeitung«.
Viele treue Grüße!
Dein
 Paul Goldmn.

Ein Vorkommniß, das in literarischen Kreisen von sich reden macht, verdient um der Personen willen, die daran betheiligt sind, allgemeinere Beachtung. Die dieswöchentliche Wiener »Zeit« enthält den Anfang einer Erzählung, die betitelt ist: »Erlebniß des Marschalls von Bassompierre« und als Verfasser nennt sich der hochstrebende Wiener Poet Hugo v. Hofmannsthal. Diese Erzählung behandelt nicht nur den nämlichen Vorfall, den in Goethe’s »Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten« Vetter Karl auf dem »Gut am rechten Ufer des Rheins« zum Besten gibt, sondern, obgleich sie weit ausführlicher und zufolge ihres näheren Eingehens ins Einzelne blühender ist, als bei Goethe, der die Hauptvorgänge straff zusammenzufassen sich begnügt, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Beide, der Alte wie der Junge, aus der gleichen Quellen geschöpft haben. Und Beide lehnen sich so deutlich an das fransische Original an, daß ihre Schilderungen in ganzen Sätzen übereinstimmen, aber sich auch untereinander im Ton des Vortrags außerordentlich ähneln. Daß Goethe, in dessen Decamerone-Nachbildung das Abenteuer des Marschalls eine rasch vorübergehende Episode, gewissermaßen nur ein nebensächliches Illustrationsfaktum ist, von dem Hofmannsthal nichts gewußt hat, darf man dreist voraussetzen. Merkwürdig ist nur, daß diesem die Behandlung des Motivs durch Goethe unbekannt geblieben ist, denn wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätte er doch sicher auf die Arbeit seines großen Vorgängers verwiesen. Noch merkwürdiger ist, daß sich Hofmannsthal als Verfasser dieser Geschichte bezeichnet, da, selbst wenn die allerliebsten Stimmungsschilderungen der Erzählung sein Eigenthum sein sollten, eine Hindeutung auf das Originalwerk unter keinen Umständen zu vermeiden war. Die Zeiten, wo man auf das Titelblatt von Komödien und Prosaschriften einfach zu schreiben pflegte: »Nach dem Französischen von X. X.« sind vorüber, aber selbst damals benützte man die Phrase »Nach dem Französischen«, um, wenn man schon den Autor nicht nennen wollte, wenigstens zuzugestehen, daß es sich um keine Original-Arbeit handle. Da Hugo v. Hofmannsthal nicht nöthig hat, bei fremden Autoren zu leihen, wäre eine Aufklärung des Falles gewiß von Interesse.
    Bildrechte © Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar