Freund! Haben Sie herzlichen Dank für herzliche Worte.
Unter Ihren Uebeln scheint einem 83 Greis das Ohrleiden
das einzige ernste. Glücklicherweise ist es nicht schlimmer, als dass Sie sich
gastfreundlich mit den Leuten unterhalten können, und theatralischen Erfolg erleben.
Ich las kürzlich sehr genau aufs Neue
Beatrice’s Schleier und fand darin
Tiefen, eine Einsicht in die
Frauenseele, die ich nie gehabt hab und nie erwerben könnte. Bin dazu geschaffen von
complicirteren Frauen an der Nase herumgeführt zu werden und nur die einfachen zu
verstehen. – Sie sind und bleiben für mich der Angelpunkt
Wiens. Da Sie mit vielen Menschen und mit dem Theater zu tun
haben, kennen Sie nicht mein Loos,
die Einsamkeit.
Alle fast sind gestorben, die mir nahe standen, alle
|die wenigen, an die ich Vertrauen
haben konnte. Und ich mache keine neue Bekanntschaften, habe zu viele Täuschungen
erlitten. Unter uns – bitte, sagen Sie es Niemand – die sogenannte Menschheit ist
eine abscheuliche Bande. Es gibt ja glücklicherweise einige Ausnahmen. –
Kopenhagen ist im Sommer eine Wüste, aber ich
mag nicht reisen, arbeite stetig, aber es ist »die Arbeit des schlechten Kopfes« wie
mein alter
Schuldirector
sagte, wenn ich meine Irrthümer mit meinem Fleiss entschuldigen wollte. –
Sie haben doch wenigstens Erfolge aufzuweisen, in
meinem Fach gibt es keine Erfolge; ich verkaufe 1500 oder 2000 Exemplare in meinem
Patria und die Uebersetzungen bringen nichts ein.
Doch genug geheult und seien Sie innigst bedankt. Ihr
Georg Brandes