|Wien, am
23. August 1917
Hochverehrter Herr Doktor!
Ich habe heute früh zu meiner freudigen Überra
schung Ihren
Dr Gräsler zuge
stellt erhalten und beeile mich, Ihnen, obwohl ich nur er
st wenige Seiten
le
sen konnte, herzlich
st für Ihre liebenswürdige Sendung und Widmung zu danken.
Ich wollte in den näch
sten Tagen bei Ihnen anfragen, ob Ihnen ein Be
such angelegen
käme (die Anfrage ver
schob ich aus einem einigermaßen kindi
schen Grunde: vorer
st
sollte nämlich eine lange
Komödie – wenn man’s
so
d nennen darf – im
er
sten Entwurf fertigge
stellt
sein, aber die letzte Szene, die allerdings ein
schwieriges Unge
|heuer i
st, dehnt
sich und
streckt
sich und will nicht zum Schluß kommen). Nun aber frage ich doch an, ob ich wieder
einmal bei Ihnen er
scheinen darf? Bevor ich auf Urlaub ging,
sprach ich einmal bei
Ihnen vor, traf Sie aber leider nicht an.
Über meine jetzige amtliche Tätigkeit läßt der
Gerichts
saalberichter
statter manchmal etwas
verlauten: ich kämpfe tagaus tagein mit der Preistreiberei, von Arbeit
überhäuft, mit gutem Willen, aber in dem vollkommenen Gefühle, ich mag nicht
sagen,
der
Don Quixoterie,
aber (denn es handelt
sich weder um Windmühlen noch um
harmlo
se Barbiere) aber doch lächerlicher Ohnmacht. An Bildern, die Art die
ses
Kampfes darzu
stellen, kann’s ja nicht fehlen: Peit
schen des Meeres, Salzbe
streuen des
Schwanzes, Hüten von Amei
sen. Die Prei
se
steigen mit unheimlicher Kon
sequenz und
un
sereins wandelt ihnen mißbilligend nach
|und
ver
sichert ihnen immer wieder,
sie hätten nicht gut daran getan zu
steigen und
sie
sollten es wenig
stens jetzt unterla
ssen. Man
spielt die lahme Gouvernante wilder
Kinder, die den Trieben der Natur folgen. Wenn es nur wenig
stens irgend einen Wei
sen
gäbe, der Herr des großen Geheimni
sses wäre: was denn eigentlich Preistreiberei
sei?
an welchem
sicheren Kainszeichen man die »offenbar übermäßigen« Prei
se erkennen und
von den un
schuldigen nicht übermäßigen,
sondern bloß exorbitanten Prei
sen
unter
scheiden können? Aber: »Gefühl i
st alles« –
Dauert dieser Kriegszustand der Jurisprudenz noch lange an, so könnte neben dem
Lächeln der Auguren jenes andere verzweiflungsvolle Lächeln berühmt werden, mit dem
während einer Preistreibereiverhandlung der Angeklagte den Verteidiger, der
Verteidiger den Staatsanwalt, dieser den Richter und der Richter den Angeklagten
ansieht: »Vielleicht bist du |klüger als ich – oder am
Ende auch nicht?« Man möchte vermuten, daß wenigstens die Preistreiber ↓si↓ selbst ↓sich↓ darüber klar sein müßten, ob sie Preistreiber seien: aber auch diese Vermutung ist nicht kaum zutreffend. –
Verzeihen Sie, daß ich Sie mit Berufsklagen langweile; aber in dieser Zeit, da ich
von allen Seiten nur Lebensmittelklagen höre, scheinen mir jene noch die
erfreulichste Art zu sein. Und über’s Jammern kommt man jetzt ja doch nicht
hinaus. –
Nochmals, hochverehrter Herr Doktor, meinen herzlichsten Dank und die ergebensten
Grüße!
Ihr
Robert Adam