Hochverehrter Herr Doktor!
Ich empfinde nachgerade ein gewisses Schamgefühl, da jede Mitteilung, die ich Ihnen
über meine literarischen Geschicke zu machen habe, die von einem Mißerfolg ist. Also seit Jahren und nun also auch heute.
Das
Münchner Hoftheater hat den »
Neidhard« abgelehnt »wegen ver
schiedener Mängel
im dramati
schen Aufbau« –
gegen die für die ich
selb
st, bei Gott, nicht blind bin – »und wegen allzugroßer Längen« – deren
Beteiligung im Wege von Strichen ich allerdings vorge
schlagen hatte. Den
|Dramaturgen hat indeß »die an
vielen Stellen aufleuchtende Poe
sie und Lyrik (ein ἓν διὰ δυοῖν) »eben
so wie der witzige, fein pointierte Dialog in den
Zwi
schen
spielen« »
stark gefe
sselt«. Schade, daß die Zwi
schen
spiele nicht abendfüllend
sind!
Da steh ich nun, ich armer
Tor, und bin ent
schlo
ssen, das Ende des Krieges abzuwarten und damit das
Herankommen einer Zeit, die der
scheußlichen deut
schfeindlichen Ge
sinnung, deren
meiner An
sicht nach der »
Neidhard« voll i
st,
ver
ständnisvoller gegenüber
stehen dürfte als die
Hindenburgi
sche. Oder
soll ich das kühne Experiment wagen, den »
Neidhard«,
sobald er wieder in meinen Händen i
st,
neuerlich zu
sammenzupacken und dem
Burgtheater mit
der Ver
sicherung einzureichen, daß er dem chri
stlich-germani
schen Schönheitsideal
ent
spricht? Da die
ses angefeindet
|durch
Nichtverwendung
babyloni
scher Motive negativ
determiniert i
st, i
st’s
sehr wohl möglich, daß der antichri
stlich-antigermani
sche
»
Neidhard«
seine volle Erfüllung bedeutet.
Der Spaß wäre nicht
so übel, und hätte ich nicht zu befürchten, daß in Folge des zu
erwartenden An
sturms aller germani
schen Chri
sten und der dadurch bewirkten
Ueberla
stung des Lektors der arme »
Neidhard«
nie weit über die bevor
stehende Wiedergeburt
Österreichs hinaus im Archive lagern bliebe, ich
wagte wirklich gerne den Ver
such. –
Nehmen Sie, hochverehrter Herr Doktor, neuerlich meinen Dank für Ihre liebenswürdige
Bemühung entgegen (wie gesagt, ich schäme mich meines unumbringbaren Pechs) und
empfangen Sie die ergebensten Grüße von Ihrem
Robert Adam