Richard Dehmel an Arthur Schnitzler, 14. 8. 1912

|Blankenese b/Hamburg, 14. 8. 12.

Lieber Herr Schnitzler!

Professor Köster schreibt mir, daß Sie ihm Ihre Unterschrift zu dem anhängenden Aufruf nicht geschickt haben. Ich kann mir nicht denken, daß Sie es mit Absicht unterlassen haben. Es ist doch tatsächlich ein blödsinniger Unfug, daß soviel schönes Geld an Stümper verplempert wird, während sich tüchtige Leute als Schuldenmacher durchschinden müssen und dabei Zeit und Arbeitslust einbüßen. Ich meine, da muß Jeder, auf den die öffentliche Meinung hört, seinen Namen hergeben, um diese faule Wirtschaft endlich ändern zu helfen. Bitte schreiben Sie mir gleich eine zusagende Zeile, eh Sie’s wieder vergessen!
Mit einem sehr ergebenen Gruß
Ihr Dehmel.

|Juni 1912.

Euer Hochwohlgeboren

wird zur Kenntnis gekommen sein, daß am 17. März ds. Js. eine Versammlung angesehener Schriftsteller in Berlin die Verwaltungsberichte der Deutschen Schillerstiftung geprüft und in sehr vielen Fällen die Verwendung der Stiftungsgelder als satzungswidrig befunden hat. Zugleich wurden die Unterzeichneten damit betraut, Schritte zu tun, die eine dauernde Abstellung dieses Mißstandes durchsetzen könnten.
Nach den Satzungen der Stiftung ist es ihr Hauptzweck, die verfügbaren Gelder als Ehrengaben an Schriftsteller zu verteilen, die einer Unterstützung bedürftig und würdig sind, »vorzugsweise an solche, die sich dichterischer Formen bedient haben«. Die Würdigkeit ist ausdrücklich dahin begrenzt, daß ein »Verdienst um die Nationalliteratur« vorliegen müsse. Tatsächlich aber sind in den letzten Jahrzehnten die Stiftungsgelder großenteils an literarisch wertlose Personen vergeben worden, während bedürftige Dichter und Schriftsteller, deren Wert heute weithin anerkannt ist, entweder gar keine oder ungenügende Unterstützung empfingen.
Wenn man erwägt, daß die Stiftung jetzt jährlich etwa 80000 Mark auszuspenden hat – im letzten Jahre waren es über 82000 –: dann fragt man mit Verwunderung, wieso sich ein deutscher Dichter von Bedeutung überhaupt noch in Not befinden kann. Was könnte man ausrichten mit so reichlichen Mitteln, wenn sie nicht immer wieder in kleinen Almosen an die breite Menge der Schwächlinge verzettelt würden, sondern in wirklich nennenswerten Ehrenspenden den stark Begabten zugute kämen! Man hat eingewendet, der Wortlaut der Satzungen erschwere die Austeilung größerer Spenden; aber die Erschwerung ist kein Hinderungsgrund und muß eben irgendwie überwunden werden. Es tut not, junge Kräfte, die sich bereits bewährt haben, vor Verkümmerung zu bewahren und den reifen die Ausdauer in der Durchführung ungewöhnlicher Pläne zu sichern.
Wir verkennen nicht, wie schwierig es ist, die jeweils Würdigsten auszuwählen, besonders in unsrer geistig vielspältigen Zeit, die immerfort neue Vorstöße nach den verschiedensten Richtungen macht. Wir möchten deshalb den Verwaltern der Stiftung bei dieser schwierigen Aufgabe an die Hand gehn; um aber nicht in den Verdacht zu geraten, daß wir einseitige Ziele verfolgen, ersuchen wir hierdurch eine große Anzahl namhafter Mitarbeiter am deutschen Geist, sich mit uns zusammenzutun und dem Verwaltungsrat Vorschläge zu |machen, wie das ihm anvertraute Nationalvermögen wohl am ersprießlichsten zu verwenden sei.
Unsre Absicht ist, den Zentralvorstand der Schillerstiftung zu ersuchen, daß er alljährlich eine gewisse Summe, und wäre es nur die Hälfte der auszuspendenden Zinsgelder, an einige wenige Schriftsteller, insbesondere Dichter, verteilen möge, die ein aus unserm Berufskreise zu ernennender Vertrauensmann (oder eine Gruppe von Vertrauensleuten) ihm jedesmal vorschlagen soll. Wenn die wenigen Persönlichkeiten, für deren Begabung wir vor der Mit- und Nachwelt die Verantwortung auf uns nehmen, je nach Bedürfnis Ehrengehälter von ausreichender Höhe und Dauer empfangen, so sichert das in der Tat ihre Schaffensfreiheit, oder später nötigenfalls ihren Ruhestand, zu ihrer und unsres Volkes Ehre. Der Rest der verfügbaren Zinssumme möge dann immerhin wie bisher den gewöhnlicheren Anwärtern in kleineren Gaben verabreicht werden.
Natürlich können und wollen wir nicht verlangen, daß sich die Verwaltung der Schillerstiftung unserm Urteil in bezug auf die Würdigkeit der vorzuschlagenden Schriftsteller ein für allemal unterwerfe. Wir wollen uns mit der Verwaltung vorerst nur darüber verständigen, ob sie grundsätzlich bereit sein würde, die Vorschläge unsres Vertrauensmannes (oder unsrer Vertrauensleute) regelmäßig entgegenzunehmen und wohlwollend zu erwägen. Die Verwaltung wird darauf um so eher eingehen, je mehr Namen von anerkanntem Wert unter unserm Antrag vereinigt stehen, und zwar gerade auch solche, die vielleicht Anspruch auf die Hilfsmittel der Stiftung haben.
Wenn Euer Hochwohlgeboren geneigt si nd, uns für diesen Zweck Ihre Unterschrift zur Verfügung zu stellen, so bitten wir Sie, Ihr Einverständnis binnen längstens vierzehn Tagen dem mitunterzeichneten Geheimen Hofrat Professor Dr. Köster kundzugeben, unter der Adresse: Leipzig-Gohlis, Schönhausenstraße 6.
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