Professor
Köster schreibt mir, daß Sie ihm
Ihre Unterschrift zu dem anhängenden
Aufruf nicht geschickt haben. Ich kann mir nicht
denken, daß Sie es mit Absicht unterlassen haben. Es ist doch tatsächlich ein
blödsinniger Unfug, daß soviel schönes Geld an Stümper verplempert wird, während
sich tüchtige Leute als Schuldenmacher durchschinden müssen und dabei Zeit und
Arbeitslust einbüßen. Ich meine, da muß Jeder, auf den die öffentliche Meinung
hört, seinen Namen hergeben, um diese faule Wirtschaft endlich ändern zu helfen.
Bitte schreiben Sie mir
gleich eine zusagende
Zeile, eh Sie’s wieder vergessen!
Mit einem sehr ergebenen Gruß
Ihr
Dehmel.
|Juni
1912.
Euer Hochwohlgeboren
wird zur Kenntnis gekommen sein, daß am
17. März ds. Js.
eine Versammlung angesehener Schriftsteller in
Berlin die Verwaltungsberichte der
Deutschen Schillerstiftung geprüft und in
sehr vielen Fällen die Verwendung der Stiftungsgelder als satzungswidrig
befunden hat. Zugleich wurden die Unterzeichneten damit betraut, Schritte zu
tun, die eine dauernde Abstellung dieses Mißstandes durchsetzen könnten.
Nach den Satzungen der Stiftung ist es ihr Hauptzweck,
die verfügbaren Gelder als Ehrengaben an Schriftsteller zu verteilen, die einer
Unterstützung bedürftig und würdig sind, »vorzugsweise an solche, die sich
dichterischer Formen bedient haben«. Die Würdigkeit ist ausdrücklich dahin
begrenzt, daß ein »Verdienst um die Nationalliteratur« vorliegen müsse.
Tatsächlich aber sind in den letzten Jahrzehnten die Stiftungsgelder großenteils
an literarisch wertlose Personen vergeben worden, während bedürftige Dichter und
Schriftsteller, deren Wert heute weithin anerkannt ist, entweder gar keine oder
ungenügende Unterstützung empfingen.
Wenn man erwägt, daß die Stiftung jetzt jährlich etwa 80000 Mark
auszuspenden hat — im letzten Jahre waren es über 82000 —: dann fragt man
mit Verwunderung, wieso sich ein deutscher Dichter von Bedeutung überhaupt noch
in Not befinden kann. Was könnte man ausrichten mit so
reichlichen Mitteln, wenn sie nicht immer wieder in kleinen Almosen an
die breite Menge der Schwächlinge verzettelt würden, sondern in wirklich
nennenswerten Ehrenspenden den stark Begabten zugute kämen! Man hat eingewendet,
der Wortlaut der Satzungen erschwere die Austeilung größerer Spenden; aber die
Erschwerung ist kein Hinderungsgrund und muß eben irgendwie überwunden werden.
Es tut not, junge Kräfte, die sich bereits bewährt haben, vor Verkümmerung zu
bewahren und den reifen die Ausdauer in der Durchführung ungewöhnlicher Pläne zu
sichern.
Wir verkennen nicht, wie schwierig es ist, die jeweils Würdigsten auszuwählen,
besonders in unsrer geistig vielspältigen Zeit, die immerfort neue Vorstöße nach
den
verschiedensten Richtungen macht. Wir möchten
deshalb den Verwaltern der
Stiftung
bei dieser schwierigen Aufgabe an die Hand gehn; um aber nicht in den Verdacht
zu geraten, daß wir einseitige Ziele verfolgen, ersuchen wir hierdurch eine
große Anzahl namhafter Mitarbeiter am deutschen Geist, sich mit uns
zusammenzutun und dem Verwaltungsrat Vorschläge zu
|machen, wie das ihm anvertraute Nationalvermögen wohl am ersprießlichsten zu
verwenden sei.
Unsre Absicht ist, den Zentralvorstand der
Schillerstiftung zu ersuchen, daß er alljährlich eine gewisse Summe,
und wäre es nur
die Hälfte der auszuspendenden
Zinsgelder, an
einige wenige Schriftsteller,
insbesondere Dichter, verteilen möge, die ein aus unserm Berufskreise zu
ernennender Vertrauensmann (oder eine Gruppe von Vertrauensleuten) ihm
jedesmal vorschlagen soll. Wenn die wenigen
Persönlichkeiten, für deren Begabung wir vor der Mit- und Nachwelt die
Verantwortung auf uns nehmen, je nach Bedürfnis Ehrengehälter von ausreichender
Höhe und Dauer empfangen, so sichert das in der Tat ihre Schaffensfreiheit, oder
später nötigenfalls ihren Ruhestand, zu ihrer und unsres Volkes Ehre. Der Rest
der verfügbaren Zinssumme möge dann immerhin wie bisher den gewöhnlicheren
Anwärtern in kleineren Gaben verabreicht werden.
Natürlich können und wollen wir nicht verlangen, daß sich die Verwaltung der
Schillerstiftung unserm Urteil in bezug auf die
Würdigkeit der vorzuschlagenden Schriftsteller ein für allemal unterwerfe. Wir
wollen uns mit der Verwaltung vorerst nur darüber verständigen, ob sie
grundsätzlich bereit sein würde, die Vorschläge
unsres Vertrauensmannes (oder unsrer Vertrauensleute) regelmäßig
entgegenzunehmen und wohlwollend zu erwägen. Die Verwaltung wird darauf um so
eher eingehen, je mehr Namen von anerkanntem Wert unter unserm Antrag vereinigt
stehen, und zwar gerade auch solche, die vielleicht Anspruch auf die Hilfsmittel
der Stiftung haben.
Wenn Euer Hochwohlgeboren geneigt si nd, uns für diesen Zweck
Ihre Unterschrift zur Verfügung zu stellen, so bitten
wir Sie, Ihr Einverständnis
binnen längstens vierzehn
Tagen dem mitunterzeichneten Geheimen Hofrat Professor Dr.
Köster kundzugeben, unter der Adresse:
Leipzig-Gohlis, Schönhausenstraße 6.