Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 11. 9. 1911

|Aussee, 11. IX.

mein lieber Arthur

die traurige Nachricht fand ich, nach einigen trüben Andeutungen durch Freunde, heute morgens in der Zeitung – so war es unmöglich, zurechtzukommen, um dem Begräbnis Ihrer guten Mutter beizuwohnen.Dass jemand nicht mehr ist, ist auch für den Fernerstehenden unfassbar, ja es ist, als antwortete das menschliche Innere |auf die Zumutung, dies hinzunehmen, mit einer verdoppelten Lebhaftigkeit der Vorstellung. So lebt Ihre Mutter für mich in diesen Stunden – und immer wieder, nach 10 nach 15, nach 20 Jahren kommt für mich ein einsamer Spaziergang, eine stockende Arbeitsstunde, in der ein Todter so völlig auflebt, dies ist eines der Geheimnisse unseres Innern.
Es ist mir ein lieber Gedanke, dass Sie nach der Qual dieser Tage daran |gehen, ein dichterisches Gebilde, in dem so viel Ihres stärksten wahrsten inneren Lebens zusammengedrängt ist, auf die Bühne zu bringen. Dass man auf diese Weise, ebenso wie in den Kindern, irgend etwas von sich weitergibt, gleichsam ans Unendliche weitergibt, ist für mich eine von den Compensationen. Es gibt noch geheimnisvollere, wenn man in das Mysterium des Lebens eindringt, wie es manchmal gestattet, aber |nicht mitteilbar ist. In den Tiefen der Arbeit liegen sie und auch in den Tiefen des aufnehmenden Lebens, und sind Ihnen bekannt wie mir. – Es scheint mir in manchen Momenten als das einzig Natürliche, jetzt zu Ihnen zu fahren und Tage bei Ihnen zu sein. Ich thäte es augenblicklich, wären Sie auf dem Lande, wo ich wirklich andauernd bei Ihnen wäre.
Auch hält mich noch etwas zurück. Mein Vater war diesen ganzen schweren Sommer in Wien, ist jetzt bei uns und freut sich auf eine kleine aufheiternde Reise nach Hamburg u. Kopenhagen, der ich auch meine Herbstarbeitswochen zunächst opfere. Wir treten sie am 16ten von München aus an.
Von Herzen Ihr
Hugo.
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