Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, [15. 3. 1904]

|Mein lieber Arthur,meiner Mama Zustand ist – wie ja nicht anders zu erwarten, – genau so elend wie vor ein paar Tagen. Geprüft durch jahrelangen Anblick eines solchen complicierten psychasthenischen Leidens sind wir ja auch nicht ungeduldig.Nicht wahr aber, Sie sind nicht bös, dass das Leben es mit |sich gebracht hat, dass zwei so verschiedene Dinge, wie Ihre zufällige Arzt-eigenschaft und unsere Freundschaft mich jetzt ermuthigen, Sie um Hilfe anzubetteln. Es erscheint halt alles ringsum, alles was man versuchen kann, alles was man herbeirufen kann, so erschöpft.
Das ist der Gegenstand von meiner und meines Vaters hauptsächlicher Bitte: dass Sie |Ihr Verständnis der Gesamterscheinung dieser kranken Frau in einem Gespräch Ihrem Bruder nahebringen, so dass er von seinem nächsten Besuch an – und bei öfteren Besuchen, die man erbitten wird – neben dem Hausarzt oder über dem Hausarzt der leitende Arzt im Ganzen wird, derjenige gute Arzt der die Einwirkungen |auf einen Theil (hier die Narbungen im Darm) so weit als möglich dem Einblick in das Ganze unterordnet.
Wir bilden uns nicht ein, dass ein solcher Patient zu curieren ist. Aber von einer solchen Krise des Elends wieder in das relativ normale zurückzuführen issie doch vielleicht? Sie werden mir Freitag vielleicht sagen, wann Sie mit Ihrem Bruder sprechen können, nachher ruft man ihn dann wieder. Ihr
Hugo
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