Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 23. 10. [1902]

|23 XRom.
lieber, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Karte und noch mehr für den frühern lieben und guten Brief, der mir damals in einem Moment, wo mich selbst Goethe im Stich gelassen hatte, ungemein wohl gethan hat. Ich bin die ersten 14 Tage hier in einer sinnlosen Depression und Hilflosigkeit herum|gelaufen. Plötzlich am morgen des 15ten, hab ich gefühlt dass etwas in mir da ist. Und zwar nicht das »Leben ein Traum«, nicht die Elektrasondern ein anderer Stoff den ich mir einmal flüchtig zurechtgelegt hatte, gleichfalls nach einem ältern Vorbild. Seither hab ich meinen Arbeitstisch, |der je nach dem Wetter entweder auf dem flachen Dach oder in meinem Zimmer steht, kaum mehr viel verlassen und heute den ersten Act, den weitaus längsten, mit 695 Versen abgeschlossen.
Kommt von außen nichts Schlimmes, so glaub ich fassicher gegen Ende November mit dem Stück fertig zu |sein. Lassen Sie mich nicht ohne einige Nachricht, auch über Ihre Arbeit. In solchen glücklicheren Tagen empfinde ich das freundliche solcher lieber Briefe doppelt stark. Von Herzen Ihr
 Hugo
P. S. Wir müssen wieder eine Radtour zusammen machen!
Eisenstein wird das Exemplar »Tod d. T.« an Sie schicken!!
    Bildrechte © University Library, Cambridge