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1927-02-03Emil Ludwig an Arthur Schnitzler, 3. 2. 1927 |
Zur Edition
Es gibt Leute, die gerne Editionsprinzipien und andere Randtexte einer Textedition
lesen, vielleicht sogar lieber, als die Texte, um die es eigentlich geht. Kaum
überraschend gehören zu dieser Sorte Menschenschlag die Personen, die dazu
abgestellt werden, solche Texte zu verfassen. Das Problem, das sich daraus ergeben
kann, ist, dass man sich zu sehr an ein Fachpublikum wendet, das das ohnedies weiß,
während für einen interessierten Laien die Fachbegriffe überhand nehmen. Darauf soll
hier einmal weniger durch die sonst zu empfehlende Kürze reagiert werden, als durch
ausführliche Erklärungen. Fussnoten und andere wissenschaftliche Rechtfertigungen
werden nur in unabdingbaren Fällen gesetzt.
Arthur Schnitzler als Briefschreiber
Allgemeine Einleitungen zu Arthur Schnitzler gibt es zuhauf, wobei die gedruckten im
Normalfall denen vorzuziehen sind, die nur für die Zeit zum Lesen am Bildschirm
aufscheinen. Darauf verzichten wir hier, wenden uns aber dem spezifischen Fall zu.
Zeit seines Lebens war die Korrespondenz das bedeutsame Mittel, um mit geografisch
entfernteren Personen in Kontakt zu bleiben oder überhaupt zu treten. In jüngerer
Zeit waren gewisse Formen der Beschleunigung eingetreten, es gab das Telegramm, es
gab die Rohrpost, die günstigere offene Postkarte und das Telefon, denen allen
gemeinsam war, dass sie motivierten, sich kurz zu fassen. Als sich Arthur Schnitzler,
geboren 1862, für den Dichterberuf zu entscheiden begann, hatte die im 19.
Jahrhundert sich im deutschen Sprachraum etablierende Literaturwissenschaft – als
Germanistik – bereits ein bestimmtes, genialisches Bild dieses Berufs geprägt. Wem es
gelang, sich als Dichter zu etablieren, konnte mit einer bestimmten Form der
Aufmerksamkeit durch die akademische Wirklichkeit rechnen: Diese Bestand in der
Aufnahme in den Kanon und die das war gleichlautend mit »Gesamtausgabe«, oder, im
besten Fall, »historisch-kritische Gesamtausgabe«. Es bedeutete, dass die Briefe
und Korrespondenzstücke zu Wertgegenständen wurden, die von Autografensammler*innen
gejagt wurden und die, gemeinsam mit dem Nachlass, Hinterbliebenen eine Rente sichern
sollten. Goethe war der Maßstein, an dem alles gemessen wurde. Die Weimarer Ausgabe,
die zeitgleich mit Schnitzlers Berufsanfängen zu erscheinen begann, brachte zwischen
1887 und 1919 133 Bände heraus, wobei mehr als ein Drittel, nämlich 50 Bände, der
Korrespondenz gewidmet waren. Diese Kenntnis, das alle Briefe, die man schreibt,
zugleich für die Ewigkeit geschrieben werden, lässt sich bei Schnitzler
beobachten. Sein Nachlass ist gleichfalls dazu angelegt, in die drei Teile der Weimarer
Ausgabe aufgeteilt zu werden: Werke, Tagebücher und Briefe.
Auswahl der Korrespondenzen
Der Ausgangspunkt des Projekts stellt die ›Prominentensammlung‹ von Korrespondenzen dar, die im
Nachlass Arthur Schnitzlers in der Cambridge University Library aufbewahrt wird. Dort
sind in den Mappen B1 (Adam, Robert) bis B118 (Zweig, Stefan) weitgehend alphabetisch
geordnet und versammeln Korrespondenzstücke, die Schnitzler von berühmten
Zeitgenossen und Zeitgenossinnen erhalten hat. Der Großteil lässt sich dem
kulturellen Feld zuordnen, vor allem der Welt des Theaters und der Literatur.
Da die Mappen Vermerke von Heinrich Schnitzler tragen, ist es möglich, dass die
alphabetische Ordnung und Nummerierung erst nach Arthur Schnitzlers Tod im Oktober
1931 vorgenommen wurde. Dem ungeachtet lassen sich für viele der Korrespondenzen
Abschriften nachweisen, die Schnitzler bei seiner Sekretärin Frieda Pollak (»Kolap«)
in Auftrag gab und die unter seiner Ägide erstellt wurden. In seinem Testament
(»Bestimmungen über meinen schriftlichen Nachlass«) unterteilte er sein
Briefvermächtnis in Briefe (»Eine grosse Anzahl dieser Briefe ist ausser im Original
in Maschinabschrift vorhanden«) und Liebesbriefe, an deren Publikation er Zweifel
äußert: »soweit es sich überhaupt der Mühe lohnt.« Das belegt, dass ungeachtet,
wer nun für die heutige Ordnung letztverantwortlich ist, die Anlage dafür bereits in
der täglichen Praxis der Sternwartestraße 71 in Wien-Währing gelegt war. Andere
thematische Konvolute, die existierten, betrafen Geschäftspost mit bestimmten
Regionen (England und die U.S.A., Frankreich und Italien, …), doch sind diese nicht
mit den Prominentenbriefen nach Cambridge gegangen. Dass die Ordnung des
Nachlasses eine vorläufige war, lässt sich an den vielen einzelnen Briefen
erkennen, die in Cambridge auf die Prominentenmappen nachfolgen und deren Funktion nicht durch
klare Kategorien zu fassen ist.
Entsprechend darf die Ordnung der Mappen nicht überschätzt werden: Es finden
sich etwa in thematischen Mappen – beispielsweise zu runden Geburtstagen –
Korrespondenzstücke, die in den Mappen fehlen.
Zwei Beispiele von Zuordnungsproblemen: Gleich die erste Mappe mit dem ersten Autor,
Robert Adam, verwundert. Er war mitnichten eine literarische Prominenz, wodurch seine
Aufnahme gerechtfertigt war. Er dürfte Schnitzler aber sympathisch gewesen sein.
Insofern könnte es sich um ein emotionales Entscheidungskriterium handeln, das den
Ausschlag gab. Oder, und das stützt die Argumentation einer Promi-Liste, Adam wurde
wegen seiner gesellschaftlich höheren Stelle im Brotberuf ausgewählt, war er doch
zuletzt Vizepräsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen.
Umgekehrt fehlen in Cambridge die Korrespondenzstücke zweier Personen, die aus
Entsprechung zu anderen heraus, ebenfalls hierhin gehört hätten: Die Briefe von Paul
Goldmann, mit dem Schnitzler bis zum Bruch ein paar Jahre nach der Jahrhundertwende
eng befreundet gewesen war. Oder die Briefe Wilhelm Bölsches, die aus dessen Zeit als
Mitarbeiter und verantwortlicher Redakteur der Freien Bühne (1890–1893) stammen.
Bölsche war zeitlebens ein sehr populärer Sachbuchautor. Die Argumentation, dass
schlichtweg keine Geschäftspost aufgenommen wurde, lässt sich einfach widerlegen,
dürften sonst die Briefe von Mamroth, Rodenberg und anderen nicht in Cambridge
eingeordnet sein. Bölsche wie Goldmann wurden durch den Nachlassteil im
Familienbesitz überliefert und sind, als Teil von diesem, nach dem Tod von Heinrich
Schnitzler (1982) in das Deutsche Literaturarchiv Marbach übergegangen. Ein Kuriosum
ist der einzige Brief Alfred Polgars, der aus der Zeit vor Polgars literarischen
Relevanz herrührt und der Schnitzler nur darum bittet, seine Krankschreibung besser
zu formulieren.
Zusammenfassend begründet das einen gelockerten, wenngleich nicht beliebigen Zugang
dieses Projekts mit der Auswahl der edierten Korrespondenzen. Ziel war, drei der
großen Korrespondenzen (Bahr, Beer-Hofmann, Hofmannsthal) gleichsam als Grundstock zu
edieren. Bei den anderen kamen deutlich mehr praktische Dinge zum Anschlag: Etwa die
Klarheit der Urheberrechtslage, die Verfügbarkeit von Gegenbriefen, die
Überschaubarkeit des Korpus, die Leserlichkeit der Handschrift und Weiteres. In der
Praxis ließ sich die Korrespondenz Bahr/Schnitzler aus dem früheren Projekt
(2016–2018) übernehmen, wenngleich eine Durchsicht nach abweichenden
Editionsprinzipien (vor allem die Aufnahme des langen s, »ſ«) notwendig war.
Aufwändiger als erwartet waren die umfangreicheren anderen Briefwechsel, obzwar sie
bereits als Buchausgabe vorliegen. Bei der ersten Edition von Beer-Hofmann fehlen
etwa ein Drittel der Karten und Kärtchen. Bei Hofmannsthal wurde schlagend, dass die
gelebte Freundschaft deutlich detailliertere Kenntnis der jeweiligen
Lebenssituationen für das Verständnis der Korrespondenzstücke notwendig machte und
die Recherche bei der Ermittlung von alludierten Personen und Texten einen
entsprechenden Mehraufwand mit sich bringt.
Relevanz hat, welche umfangreicheren Korrespondenzen mit schreibenden
Kolleg*innen bislang fehlen: Otto Brahm, Paul Goldmann, Theodor Herzl, Alfred Kerr,
Heinrich Mann, Felix Salten und Stefan Zweig gehören dazu, auch die für gewöhnlich
unter Privatbriefe gereihten mit Clara Katharina Pollaczek (Loeb) und Hedy Kempny
sind zu nennen. Während für nahezu jeden einzelnen eine eigene Begründung notwendig
wäre, so lässt sich die Hoffnung ausdrücken, dass diese Lücke zu einem späteren
Zeitpunkt gefüllt wird.