Robert Adam an Arthur Schnitzler, 1. 5. 1927



*Wien, am 1. Mai 1927.

Hochverehrter Herr Doktor!

Ich darf Ihnen neuerlich für eine Gabe danken, für Ihr »Spiel im Morgengrauen«, das mir durch den Verleger zugegangen iſt. Welche Luſt künſtleriſchen Genießens es mir bereitete, kann ich nicht ausdrücken. Es kam mir vor, als hätten Sie ſich aus unſerer ſtaubigen Verfallszeit in ein altes Wiener Griechenland geflüchtet, in dem auch über den düſterſten Ereigniſſen, über dem Kampf und Vergehen klei *der kleinen Menſchen ein ewigblauer Himmel bei kühlen Frühlingslüften lacht, in ein Land, das wir alle gekannt haben, ein Orplid ohne die Nebelhaftigkeit romantiſchen Ahnens, in dem vielmehr alle Konturen und alle Geſtalten klar umriſſen und hell beſchienen ſind. Solange Sie dies Wiener Alt-Hellas mit Ihren Geſtalten, Gefühlen und Gedanken beleben, iſt es nicht untergegangen und wir dürfen uns hineinflüchten wie in die Erinnerung froher Jugendtage. Wie harmoniſch iſt dort alles, wie harmoniſch ſelbſt die Disharmonie! Und wie froh macht mich die Klarheit Ihrer *Sprache, voll und funkelnd wie reifer Wein! Sie wirkte auf mich doppelt mächtig, da ich vom Ärger über den neologiſchen Nachwuchs herkam, der ſich entrüſtet gegen die Zumutung wehrt, die »Sprache des 19. Jahrhunderts« zu ſprechen, und infolgedeſſen kühnlich die des 21. vorwegnimmt, feierlich um den Gral der Unverſtändlichkeit bemüht, die Ritterſchar von Wortſalvat. –
Ihrer freundlichen Einladung, Sie einmal aufzuſuchen, werde ich natürlich mit größter Freude nachkommen. Vielleicht könnten Sie mir den Ihnen genehmen Tag durch Dr Karl Pollak im kurzen Wege mitteilen laſſen.
*Unter Wiederholung meines Dankes mit den beſten Empfehlungen
Ihr ergebener
DrRAdam.
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