Hugo von Hofmannsthal an Olga Schnitzler, 17. 4. 1920



*Hofmasthal

*Rodaun
17. IV.

liebe Olga

mit Schmerz hab ich erfahren, daſs Ihre gute liebe Schweſter von dieſer finſteren Welt und uns allen auf immer fortgegangen iſt. Wie freundlich wäre es, ſie noch immer unter den Lebenden zu wiſſen. Es ſchien mir eine Güte von ihr, daſs ſie immer noch dableiben wollte. Dieſes unvergleichliche, rührende Weſen – ich habe ſie ja, *würde man ſagen, nur wenig gekannt: und doch, wie ſehr iſt ſie auch mir geſtorben! – und davon gibt mein innerſtes Gefühl mit nachhaltigem Schmerz mir ſelber Zeugnis. Man brauchte ihr nur manchmal begegnet zu ſein – mit welcher zarten feinen unauslöſchbaren Schrift ſchrieb ſich dieſes Weſen einem ins Herz. Sie haben ſo viel *verloren – mehr als irgend jemand ſicherlich, denn Sie waren die frühen Jahre mit ihr verbunden: ſo fällt für Sie ſo nichts zugleich dahin.
Wie viel aber auch Arthur verloren hat, was für eine gute zärtliche Freundin, das kann ich ahnen – ermeſſen kann ja ein Dritter ſolche Dinge nie. Sagen Sie es ihm, daſs ich oft u. oft an ihn denke.
*Ich bin, liebe Olga, in alter Freundſchaft
Herzlich Ihr
Hugo H.
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