Verzeihen Sie es meiner bangen Ungeduld, daß ich, obwohl nicht viel mehr als zwei Wochen verſtrichen ſind, ſeit ich dem
Deutſchen Volkstheater meine zwei
Stücke überreichte, bei Ihnen anfrage, ob Ihnen von dem Schickſal, das ihrer harrt, ſchon etwas bekannt geworden iſt? Ich bin ohne jede Nachricht und weiß nicht recht, ob ich wieder im
Theater vorſprechen ſoll und an wen ich mich am beſten wenden ſollte; ich beſorge, mir durch Zudringlichkeit und Zurſchautragen von Ungeduld Chancen, die ich etwa hätte, zu verderben, anderſeits aber wieder, ſtilles Zuwarten möchte auch nicht das
*richtige Vorgehen ſein. Könnten Sie mir, bitte, hierin einen Rat geben?
Mir hilft jetzt über viele Unannehmlichkeiten der
deutſchöſterreichiſchen Epoche – Amtsarbeit, Verkühlung, Fett- und Fleiſchhunger, kühle Zimmer – die Lektüre eines wundervollen Buches hinweg, das ich neulich in der
Bibliothek der Juſtizbeamten aufſtöberte und das mir bis jetzt vollkommen unbekannt war (obwohl es in den 80
er Jahren einiges Aufſehen erregt haben muß). Es heißt: »
Briefe eines Unbekannten« und wurde von dem Grafen
Rudolf Hoyos bei
Gerold in
Wien herausgegeben, 1887 in zweiter Auflage. Der Briefſchreiber war ein Herr
von Villers, penſionierter
ſächſiſcher Legationsrat, ein Mann von höchſter Kultur. Wie konnte es kommen, daß ich von dieſem Buch nie etwas las oder hörte? Es gehört, will mich dünken, nicht nur zu den vornehmſten, ſondern zu den geiſtvollſten und liebenswürdigſten Büchern der deutſchen
*Literatur. Ich muß mich zurückhalten, Ihnen nicht Stücke auszuſchreiben, um Ihnen davon – falls Sie dieſe Briefe nicht ohnehin kennen ſollten – Proben zu geben; aber vielleicht kennen Sie, was ich entdeckt oder wiederentdeckt zu haben glaubte, ohnehin und meine Begeiſterung ſcheint Ihnen zwar nicht lächerlich – denn ich glaube kaum, daß ein für Literatur Empfänglicher dieſen Briefen gegenüber kalt bleiben könnte –, aber doch unnütz. –
Zu ſchriftſtelleriſcher Betätigung komme ich jetzt gar nicht; mir iſt, als müßte ich alle mir nach viereinhalb Kriegsjahren verbliebene Energie dazu aufbrauchen, nicht allzuſehr zu frieren, und als bliebe für’s Denken keine mehr übrig.
Mit den ergebenſten Grüßen
Ihr
DrRAdam