Georg Brandes an Arthur Schnitzler, vor dem 2. 12. 1911

Georg Brandes

Verehrter Freund, lieber Arthur Schnitzler. Frau Helene Heyman wünscht von mir bei Ihnen introducirt zu werden. Sie können der Dame vollständig vertrauen. Deutsch geboren versteht und schreibt sie Dänisch mit vollkommenster Sicherheit.

    Helene Heyman] Die undatierte Karte geht dem Brief von Helene Heyman voran (Deutsches Literaturarchiv, A:Schnitzler, HS.NZ85.1.3446,1): »Kopenhagen, Rosbæksvej Strandvej 2./12 1911 / Sehr geehrter Herr Schnitzler! / Ich bitte Sie zu entschuldigen, dass ich mich, ehedem ich Ihnen vollständig fremd bin, an Sie wende mit der Vorfrage Ihr neuestes Werk »Das weite Land« auf dänisch übersetzen zu dürfen, und es womöglich hier am königlichen Theater zur Aufführung zu bringen. / Herr Professor Georg Brandes hatte die grosse Freundlichkeit mich bei Ihnen zu introducieren, da ich ja nicht erwarten konnte, dass Sie einer Fremden Ihre Arbeit anvertrauen wollten. Ich darf wohl hinzufügen, dass ich eine grosse Verehrerin Ihrer Werke bin, besonders »Der Weg ins Freie«, hat mich aufs höchste interessiert und gefesselt. Alle Menschen, die in dem Roman vorkommen, standen Einem geradezu nahe, man fühlte mit ihnen. Die grösste Lust hatte ich schon damals an Sie zu schreiben und Ihnen zu erzählen wie ganz anders das Verhältnis zwischen Christen und Juden hier ist, es giebt wirklich nur wenig richtigen Antisemitismus hier, man merkt ihn jedenfalls sehr selten. Aber die Juden hier sind auch sehr vernünftig, gemischte Ehen gehören zur Tagesordnung, und sie sind nicht auf pekuniären Vorteil taxiert. Im Verkehr mit Christen wird die Religionsfrage so wenig wie möglich berührt, während gerade die deutschen und österreichischen Juden immer und ewig auf dies heikle Thema zurückkommen, und dadurch die Kluft zwischen den Rassen nur erweitern. / Ich selbst bin Rheinländerin und kam als ganz junges Mädchen hierher, und bin nun schon 17 Jahre hier verheiratet, also ich kann den Unterschied nur zu gut merken. / Entschuldigen Sie, dass ich so frei war mich an Sie zu wenden, hoffentlich wird Ihre Antwort eine günstige für mich sein. / Mit vorzüglicher Hochachtung zeichnet / Ihre ergebene / Helene Heyman.«