ich glaube, es wird, Sie vielleicht interessieren, wenn ich wieder einmal über meine literarischen Miß- und Erfolge Nachricht gebe.
Kraus, mit dem ich übrigens bereits sehr schlecht stehe, weil wir beide, wie Sie wissen, recht unverträglich sind, hat einmal ein
Gedicht von mir gebracht, ein anderes akzeptiert, der honorarfeindliche
Berliner »
Sturm« zwei minderwertige
Skizzen. Im übrigen ein Debacle auf der ganzen Linie. Die Verlage
Reiß,
Fleischel,
Langen,
v. Weber haben meine Sachen ohne weitere Begründung refusiert,
Georg Müller ist trotz der Intervention der Herren
Alfred Kubin und
A. Halbert zu einer höflichen Ablehnung geschritten, der
Inselverlag reagierte nach einer Empfehlung durch
Paul Ernst ähnlich sauer. An komischen Werturteilen fehlte es nicht,
Soyka schimpfte mich ein Genie,
Paul Ernst gab zuerst reichliches Lob von sich, um schließlich bei dem Cliché »frühreifes
Wiener Talent, das längstens in fünf Jahren abgestorben sein wird« zu enden. Angesichts Ihrer Ansicht, vieles bei mir sei noch unreif, erinnert mich dieser Widerspruch lebhaft daran, daß
Auernheimer meine
Th. Mann-kritik dithyrambisch nannte,
Polgar sie für ein abscheuliches Pamphlet erklärte, jener mich als phantastischen Schriftsteller rubrizierte,
Großmann sich durch meinen Realismus abgestoßen fühlte. Die Prognose des D
r Ernst scheint mir
jedenfalls unzutreffend: nach fünfjähriger Stagnation sind mir meine lyrischen Fähigkeiten heuer wiedergekehrt. Immerhin hat eine
Ballade, die ich im Mai fabrizierte, bereits den Rekord von zwölf Retournierungen. Ich möchte sie mit einigen anderen kleinen Arbeiten Ihnen unterbreiten: Ich halte die Sachen nämlich nicht für so schlecht wie die vereinigten Redaktionsphilister, deren Autogramme zu sammeln mein Schicksal zu sein scheint. Die Herren
Hesse,
Gumppenberg,
K. B. Heinrich,
Scheerbart,
Lang-,
Wid-,
Hoff- und
Großmann behaupten einhellig eine intensive Nichteignung meiner Arbeiten für Ihre respektiven Blätter.
Bie verwechselt mich konstant mit
R. Auernheimer,
Wien III, und verlangt immer wieder duftige
Wiener Ware, die ich natürlich nicht herstellen kann. Kurz, es dürfte kein namhaftes Organ in
Österreich und
Deutschland geben, das mich nicht mit seinen nichtssagenden Ablehnungsformularen beglückt hätte. — Ein Herr
König vom »
Merker« möchte für den Spätherbst eine kritische Studie über Sie, den Dramatiker, von mir haben, aber sein Blatt zahlt spät und schlecht, und mit meiner Betrachtungsweise wäre wohl eher noch der Autor als der päpstliche
Merker einverstanden. Ich würde Sie nämlich, trotzdem Ihre Stücke oftmals von der Bühne her auf mich stark gewirkt haben, ebensowenig einen Dramatiker nennen wie etwa
Grillparzer oder irgend einen anderen
österreichischen Dichter. Ich würde sagen, Sie seien im Grunde genommen ein Lyriker, ein Stimmungsdichter, der sich zu
r Erreichung seiner Zwecke oft des Dialoges, noch häufiger der epischen Form bedient. »
Der einsame Weg« zum Beispiel ist nichts
anderes als eine wunderschöne, dialogisierte Novelle, in der ebenso wie in den ähnlichen
Wahlverwandtschaften (aber auch bei
Homer und den
Buddenbrooks) ein Aussterben der feiner organisierten Individuen, ein
Amlebenbleiben der gangbareren Typen zu registrieren ist. Jene unerbittliche Logik, jene unabwendbaren Resultate ineinanderwachsender Motive, zu denen
Shakespeare kam, hat von deutschen
Dramatikern nicht einmal
Kleist;
Hebbel und
Schiller sind Dialektiker,
Goethe ist – ich weiß kein höheres Lob für Ihren musikalischen, stets melodischen Stil – Lyriker. Diejenigen Ihrer Werke, die auf den Einfall und Einfälle gestellt sind, wie die meisten Ihrer Einakter und Dialoge, wüßte ich nicht zu besprechen. Mit Mathematik befasse ich mich nicht gern, und wenn, so würde ich den »
Reigen« als Vertreter hinstellen und beklopfen. Behaupten, es gebräche der Composition an Vollständigkeit, sei man schon Algebraiker genug, die Prinzipien der Combination und Permutation anzuwenden, hätte der Cirkus komplett sein müssen, die Dörfer Sodom und Gomorrha nicht außer Betracht bleiben dürfen.
Über die Vollkommenheit wieder, repräsentiert durch den »
einsamen Weg«, »
großen Wurstel« und »
Schleier der Beatrice« (dessen Helden übrigens
Altenberg nicht zum Selbstmord hätten schreiten lassen,
bloß weil die Vertreterin der Weiblichkeit von einem anderen Mann träumte) – über das Vollendete läßt sich wenig sagen. Vor allem aber gebricht es mir an Material, ich kenne nicht jenen
Schauspielereinakter, der in
Berlin zu einem Skandal
führte, und was mich noch mehr interessierte: ich kenne bis auf das Bruchstück in einem
Widmungsbuche die erste Fassung der »
Liebelei« nicht, die mir in dieser Form, nach dem Fragment beurteilt, viel höheren Wert zu besitzen scheint. (Dieselbe legere Technik fand ich in den in der »
N. Fr. Presse« veröffentlichten Szenen
aus dem »
Medardus« wieder, die andererseits wieder eine gewisse und vielleicht lustige Ähnlichkeit mit dem »
Kakadu« besitzen.) Summa summarum möchte ich sehr gern ein Essay über Sie schreiben (schon weil ich Ihnen womöglich jedes Gefallen an der vorliegenden Form des »
Wegs ins Freie« benehmen will), aber weder scheint mir der »
Merker« das geeignete Blatt, noch könnte ich ohne einiges biographische und entwicklungsgeschichtliche Material so schnell etwa Ihrer und meiner Würdiges zu Tage befördern. Wenigstens kaum vor März 1911, denn meine Studien machen nur langsame Fortschritte. Zwar sind die geographisch-historischen Arbeiten bereits approbiert, das kleine philosophische Rigorosum bereits hinter mir und so steht zu befürchten, daß ich im Oktober zum Dr. phil. degradiert werde. Aber ich
besorge nicht über genügend starke Protektion zu verfügen, um ins
Ministerium des Unterrichts oder
Inneren kommen zu können und es müßte also im Jänner schreckliche, überdies nicht gerade viel Chancen bietende Lehramtsprüfungen ablegen