Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, [23. 11. 1908]



*R.
Montag.

mein lieber Arthur

ſo nett und gemütlich es neulich abends bei Euch war, ſo ſehr wünſche ich mir nach der ungewohnten Zufälligkeit, daſs wir 2mal Fremde bei Euch trafen, wieder die Freude, Sie allein zu ſehen.Es gibt Zeiten, in welchen man beſonders deutlich fühlt, welche Menſchen *auf der Welt man ſehr gern hat, und für mich ist dieſe jetzige Zeit eine ſolche.
Vielleicht, da Ihr viel vorhabt, telegrafiert ihr einmal, 1–2 Tage voraus, einen Abend wo wir kommen dürfen.
Die Gedichte von Winterſtein gefallen mir sehr gut. Was würde ihm wünſchens*wert ſein daſs man dafür thäte?
Ich ſage mir manchmal, daſs vermutlich die Anfänge dieſer Erkrankung meiner Nerven weit zurück liegen und daſs meine Verſtörtheit über gewiſſe Dinge in Ihrem Roman (menſchliche viel mehr als künſtleriſche, aber nicht im Bereich des Judenproblems) *vielleicht ſchon nichts normales mehr war.
Auf Wiederſehen, mein lieber Arthur.
Ihr alter
Hugo.
Dem Profeſſor Seidler hab ich gedankt.
    Bildrechte © University Library, Cambridge

    neulich] am 26. 10. 1908 und am 15. 11. 1908

    Verstörtheit] siehe Hugo von Hofmannsthal an Arthur Schnitzler, 24. 7. [1908], vgl. A. S.: Tagebuch, 24. 11. 1908