Arthur Schnitzler an Michael Georg Conrad, 24. 1. 1904

Herrn
M. G. Conrad

lieber Herr Conrad, ich habe das Buch der Frau Knorr Schmidt erhalten u mancherlei Blicke hinein gethan – der Arzt in mir regt sich und meint: man dürfe über dergleichen Imanationen nicht urtheilen, ehe man mehr über das betreffende Individium erfährt oder es wirklich als ganzes kennen lernt. Als »Fall« wäre die Sache vielleicht interessant.
Im übrigen: Können Sie sich talentlose Geister vorstellen? Oder Gespenster, die abgestandene Witze machen? Wenn ich mich entschließen sollte, an einen Geist zu glauben, so müßte er sich schon die Mühe machen, ein Genie zu sein. –
Herzliche Grüße. Ihr
ArthurSchnitzler

    Geister] Beim folgenden Brief, der als »Aus der Korrespondenz mit unbekannten Autoren« veröffentlicht wurde, könnte es sich um Schnitzlers Schreiben an Marie Knorr-Schmidt handeln: »Sehr geehrte gnädige Frau! / Ich bin keineswegs befugt, die Frage zu entscheiden, ob es Geister gibt oder nicht. Nicht leugnen will ich indes, daß ich mich einer gewissen vorgefaßten Meinung, wenn auch keiner unbegründeten, schuldig weiß. Sollte es aber Geister geben, so flößen mir diejenigen, welche Ihnen Ihre Gedichte diktieren, durch ihren auffallenden Mangel an Geschmack und Talent nicht genügend Interesse ein, um der Erforschung des Problems vorläufig näherzutreten. / Mit vorzüglicher Hochachtung / Arthur Schnitzler«. (Aus der Korrespondenz mit unbekannten Autoren. In: Literatur und Kritik, Jg. 12, März 1967, S. 87.)